Meinung/Kolumnen/sex in der freizeit

Subtext beim Sex

Hoffentlich sieht er die Dellen nicht

Gabriele Kuhn
über Z wie Zellulitis

Es gibt manche Dinge, die harmonieren nicht mit dem Geilheitsprinzip. Die sind Abturner – kaum poppen sie in der Gedankenwelt auf, ist Sendepause im Schritt. Interessanterweise tun sie das gerne während des Geschlechtsverkehrs. Da hat man es an sich sehr schön, plötzlich taucht am inneren Denk-Horizont ein vages Bild auf. Noch ist es grau, noch will oder kann man es wahrhaben, aber dann kriegt das Bild unangenehm klare Konturen, es wird dreidimensional, bunt, lebendig. Kaum hat man sich’s versehen, schiebt sich eine zweite Ebene ins koitale Tun: das schlechte zweite Programm. Bildstörung. So sehr man sich nun auch anstrengt, um im Hier und Jetzt und Turnen zu verweilen, sie ist da, sie verselbstständigt sich und vermiest den Sex. Einige Beispiele.

Die Bügelwäsche. Da liegt die Frau also, dahingegossen, und versucht zu vergessen, dass dieser Tag ein Scheißtag gewesen ist. Der Partner hat Champagner gereicht, ein Essen gezaubert und knabbert ambitioniert an ihren primären und sekundären Geschlechtsteilen herum. Alles sehr geil, so weit. Und dann kommt’s. Das Bild vom Bügelkorb. Erst klein, dann groß, dann überdimensional. Es schiebt sich wie ein Pflock zwischen den Knabbernden und die Koitusbereite und löst eine ganze Gedankenkaskade aus. Der Subtext zum Nuckeln und Nagen des Liebsten lautet plötzlich so: „Holy shit, ich habe vergessen, sein blaues Businesshemd zu bügeln. Dabei hat er doch morgen diesen wichtigen Termin.“ Vom Termin geht die Reise weiter – in Richtung „Was ist, wenn ...?“: „Was, wenn er bei dem Termin versagt und er den Auftrag nicht kriegt? Werden wir dann verarmen? Kann ich mir dann noch den nächsten Urlaub leisten? Apropos Urlaub: Warum verdammt haben wir noch nicht gebucht?“ Etcetera. Etcetera. Und wenn sie nicht gekommen ist, wird er sie am Ende fragen: War’s schön? Sie wird nicken, aufstehen, das Hemd bügeln.

Auch ein Klassiker: Das „Pfah, ich bin blad“-Programm. Gleiche Situation, anderer Gedanke – er knabbert und küsst, sie gibt sich hin. Plötzlich spürt sie sein Züngeln an der Oberschenkelinnenseite. Wie aus dem Nichts poppt das Z-Wort auf: Z wie Zellulitis. Hilfe! Und der Denk-Tsunami baut sich auf: „Mah, muss der jetzt ausgerechnet dort ...?
Hoffentlich sieht er die Dellen nicht und dass sich mein Bauchspeck rollt wie zehn Topfenstrudel auf einem Backblech?“ Schwupps, aus ist es mit dem genitalen Zauber.

Eines habe ich noch: das Tür-Thema. Es betrifft vor allem Eltern von Kindern, die gerne einmal ins Schlafzimmer platzen, ohne vorher anzuklopfen und abzuwarten. Daher gibt es Schloss und Schlüssel. Alsdann: Sie engagiert sich, leicht bekleidet, beim Blowjob, er liegt nackt da, und freut sich sichtlich. Alles gut, die Kinder schlafen.

Doch dann dieser erste vage Gedanke, der sich in ihrem Kopf breit macht: „Hat er eh die Tür zugesperrt? Habe ich die Tür zugesperrt? Was, wenn die Tür nicht zu ist? Und wenn der Kleine doch nicht schläft?“ Die Gedankenkraft erzeugt halluzinierte Kinder-Schritte. Die Blowjob-Aktivität stockt. Sie unterbricht, um die Tür abzusperren. Die Tür ist eh schon zu, die Stimmung weg. Da bleibt nur noch die Frage, wie es Männern so mit ihrer Gedankenwelt geht. Eine repräsentative Umfrage im Freundeskreis zeigt: Männer denken ebenfalls während des Sex. Aber an Sex.

gabriele.kuhn@kurier.at