Meinung/Kolumnen/sex in der freizeit

Sex: Zeitnah eine Gönnung

Der schmierige Charme altösterreichischer Ausdrücke musste straffen Trendwörtern weichen.

Gabriele Kuhn
über moderne Wortschätze im Schlafzimmer

Sprache lebt, in der Sprache spiegelt sich der Wandel der Zeiten. Das macht sich natürlich auch im Bereich der Sexualität bemerkbar.
Gewisse Begriffe sind heutzutage kaum mehr bekannt, so gut wie ausgestorben. Ehrlich: Wer „schustert“ heute noch, wer „schnackselt“ oder „pempert“? Wer „spechtelt“ ein Paar beim „Ausgreifen“ in einem „Spuckerl“ (kleines Auto) aus? Wer heute über Dinge und Handlungen spricht, lässt meist auf elegante Weise sogenannte Trend- oder Modewörter einfließen – häufig Anglizismen, noch häufiger völlig neu erfundene Worte, gerne auch „Neudeutsch“ genannt. Total zeitgemäß, quasi. Viele davon sind Füllwörter, die en passant signalisieren sollen, dass man gewissermaßen noch am Puls der Zeit lebt. Egal, ob sie „Sinn machen“ oder eben nicht. Erst noch bewusst platziert, werden sie irgendwann trotzdem selbstverständlicher Teil des alltäglichen Redeflusses. Und irgendwann zeigt dann wirklich jeder mit Hilfe von Sätzen wie „Du, das ist total nachhaltig“ oder „Am Ende des Tages wird jeder schauen, wo er bleibt“, dass er schwurbeltechnisch exzessiv up to date ist. Man darf sich dann auch nicht weiter wundern, wenn all die neuen Wort-Schätze Einzug in die Zwiesprache der Intimität halten. So erzählte mir etwa die F, dass sie unlängst mit einem Typen geschnackselt (sic!) hat, der – nachdem er fertig war – Folgendes seufzte: „Gut, dass du zeitnah gekommen bist, lange hätte ich das nicht mehr zurückhalten können.“ Man erzählt sich auch gerne den Schwank vom Chef, der mit seiner Assistentin seit einem halben Jahr ein enges Verhältnis pflegt und ihr gerne per WhatsApp eindeutige Weisungen zukommen lässt, etwa: „Könntest du mir zeitnah und proaktiv einen blasen?“ Sie antwortet allenfalls mit einem sorgfältig gewählten Emoticon (Banane, Kusslippe, explodierende Wundertüte) oder mit dem Satz „Du kleiner Gönner, du“. Apropos Gönner. Gönnung gilt als sehr junges Wort, das im Kontext von Sexualität noch keinen Fixplatz ergattert, aber das Potenzial dazu hat. So eine schnelle Nummer hat naturgemäß das absolute Zeug zu einer Gönnung. Wobei die Frage offen ist, wie diese Gönnung endet – in Zeiten wie diesen allenfalls mit einem Satz wie diesem: „Das war aber ein Fake-Orgasmus, stimmt’s? Da bin ich total achtsam.“ In Zeiten von Fake-News durchaus legitim. Sie könnte dann üblicherweise lügen, etwa mit einem „Geh wo, ich hatte gefühlte hundert Orgasmen, so muss Sex.“ Würde auch er ihr per WhatsApp antworten, könnte er jetzt ein Emoticon (Smiley mit schwarzer Brille, Frosch, Verlobungsring) schicken oder ein modernes I Like. Der Intellektuelle würde an dieser Stelle vermutlich eine Diskussion zum Thema „Orgasmus in postfaktischen Zeiten“ anreißen – und zwar auf Augenhöhe. Wobei der Approach ziemlich gut sein muss, sonst firmiert das Ganze womöglich unter der Kategorie „Komm mir du bitte jetzt nicht mit der Orgasmus-Keule“. Nur so: Falls Sie sich durch diese Zeilen angeregt fühlen und – im Sinne des verbalerotischen Benchmarkens – überlegen, wie Sie sich zu der zeitgeistigen Ausdrucksweise committen könnten, denken Sie bitte an Kurt Tucholsky. Der sagte: „Woran man Modewörter erkennt? Man erkennt sie nicht; man muss das fühlen.“ Sollten Sie dabei nicht ad hoc top performen – kein Problem: Auch das lässt sich feintunen.

gabriele.kuhn@kurier.at