Meinung/Kolumnen/Sex in der freizeit

sex IN DER FREIZEIT: Lustschreie

Das stelle ich mir spannend vor: Die Designerinnen Sandra Lichtenstern und Sabine Fischer recyclen 1970er-Jahre-Pornos, indem sie gute Szenen zu collageartigen Kurzfilmen zusammenschnipseln. Daraus entstehen Remixe, die unter dem Label Glory Hazel erhältlich sind. Die Damen finden, dass zeitgenössische Produktionen einfallslos, stereotyp und langweilig sind: "Ein Brei aus nackter Haut, lustlosem Gestöhne und dumpfer Künstlichkeit." Also "faszinierend unkreativ". Wohl deshalb erhoben die Künstlerinnen auch schon mal ihre Stimmen, um die Tonspuren zum Reinraus höchstpersönlich neu zu bestöhnen. Das klingt gut. Ich fand die Vorstellung, einen Porno zu synchronisieren, immer schon prickelnd. Da sitzt man, folgt mit konzentriertem Blick den Szenen eines Geschlechtsverkehrs und überlegt sich den guten Ton dazu. Dazu ist wohl ein Höchstmaß an Einfühlungsvermögen nötig - man muss die Szenen wohl am eigenen Körper spüren, um das richtige Timbre im richtigen Moment anzuschlagen. Die Bandbreite zwischen leisem Geseufze und exzessivem Brunftgebrüll ist bekanntlich groß. Stimm- und Stimmungslage müssen dramaturgisch harmonieren. Ich denke, es ist wichtig, damit zu spielen - vorausgesetzt, jemand beherrscht diese Klaviatur der Geilheit. Ich habe ja noch nie verstanden, weshalb sich so viele Pornos hier extrem dumpf und realitätsfern geben - irgendwo angesiedelt zwischen stakkatoartigem Ohja! Ohja! Ohjah!, kurzen Boahs und saumäßigem Grunzen. In Wirklichkeit ist der Sex-Sing-Sang ja ganz anders - viel variantenreicher nämlich. Vom erotischen Streichelquartett bis zum orgiastischen Paukenschlag ist alles möglich. Und da habe ich das Spiel am Blasinstrument noch ausgespart. So gibt es zum Beispiel Menschen, die tun während des Vögelns nichts außer eben nur vögeln. Sie sind stumm und wiegen sich verloren in Geilheit. Das ist wenigstens echt. Andere wiederum jodeln sich die Tonleiter rauf, rein und runter. Und dann gibt's auch noch allerlei wunderbare Zwischentöne: Seufzen, Atmen, lustvolles Murmeln und Reden. Manche knurren, andere gähnen - oder schreien beseelt. Vor allem beim Orgasmus - wo das Hirn endlich mal aussetzt und der Körper tun darf, was er tun will: auf jeder Ebene ausflippen. Doch weshalb gibt es die Lustschreie überhaupt? Der US-Psychologe Christopher Ryan spekuliert etwa, dass das Stöhnen der Frau beim Sex ein Resultat der Evolution ist. Es dient als Lockmittel für andere Männer - zumindest bei Primaten. Da brüllt die Dame beim Kopulieren und zieht so weitere Herren in den Verkehr. Eine Art "Weibchen-sucht-den-Sex Superstar"-Contest, um die echten Kerle zu identifizieren - denn am Ende siegt der stärkste Typ mit dem besten Genmaterial. Primatenforscher stellten übrigens fest, dass das Gekreische der Weibchen umso schriller wird, je höher der soziale Rang des Männchens in der Gruppe ist. Es gibt also so etwas wie den Millionenshow-Lustschrei - Motto: So erstöhne ich mir einen Onassis. Fazit: Nicht alles, was da kommt, kommt von Herzen - mitunter wird aus Kalkül gestöhnt. Je lauter, desto verdächtiger. Das machen Frauen auch mal, um den Akt zu beschleunigen. gabriele.kuhn(at)kurier.at