sex IN DER FREIZEIT: Geil gezwitschert
Von Gabriele Kuhn
Hast du noch Sex oder golfst du schon? Lange Zeit schien die Schlägerei auf der grünen Wiese absolut inkompatibel mit Attributen wie potent, geil oder lustvoll. Wer mit dem Golfsack ausrückte, hatte die Aura lascher Lenden. Die These avancierte zum nicht minder laschen Fußballplatz-Kantinen-Schmäh. Das hat sich bekanntlich geändert – spätestens seit Tiger Woods wissen wir, dass golfende Menschen nicht nur am Grün einlochen.
Andere Zeiten, andere Annahmen – bald könnte es heißen: "Hast du noch Sex oder twitterst du schon?" Eine neue Studie – veröffentlicht im Magazin Psychological Science – zeigt die Faszination sozialer Netzwerke. Menschen sind davon so gefesselt, dass sie auf Wesentliches vergessen – auf das Leben, also auch aufs Vögeln, Saufen, Rauchen. Der Drang, seinen Twitter- oder Facebook-Account im Minutentakt zu checken, ist größer als jede andere Begierde. Dafür würden manche sogar auf Alkohol und Tschicks verzichten. Und auf Sex.
Wenn ich so meine weitere und nähere Umgebung beobachte (ganz abgesehen von mir selbst) muss ich feststellen: Da ist durchaus was dran, dazu braucht’s eigentlich gar keine Studie. Ein Beispiel aus der täglichen Flirtpraxis: Einst saß man in der U-Bahn und sah dieses Prachtstück Fleisch an Testosteronsauce – man dachte bei sich: „Na, der junge Herr dürfte seinen Unterleib auch mal in mir parken." Er dachte im besten Fall ähnlich – der Beginn reger Einparkaktivitäten.
Immerhin: Wieder was Nettes erlebt – egal, was daraus wurde – eine Affäre oder eine Ehe. Und die Gegenwart? Moderne Zeiten. Heute sitzen alle wie Dustin Hoffman in Rainman herum und starren mit stumpfen Blicken auf die Bildschirme ihrer Handys. Es scheint, als wären die wahren Abenteuer im Smartphone, und sonst nirgendwo. Kein Augenkontakt, kein anzügliches Lächeln – stattdessen twittern wir: "Sitze in der U-Bahn, es stinkt." Während der Facebook-Status im "Es ist kompliziert"- bzw. "Single"- Modus erstarrt.
Auch sonst ist es nicht wahnsinnig prickelnd. Die L, eine wirklich liebe Freundin, sieht ihren Mann nur mehr mit den Tasten seines BlackBerrys kuscheln. Statt seine Finger in sie zu versenken, fliegen die flott von Buchstabe zu Buchstabe. Heiße Zwitschereien zwischen @hühnerbein, @rudiratlos und @mrs.immerfein in der superwichtigen Causa #Blablabla. Irgendwann ist der Mann vom Cyber-Gevögle so ermattet, dass er twitternd entschlummert.
Vielleicht sollte man sein Liebesleben neu denken – eine andere Studie besagte immerhin, dass Facebook & Co vorspielähnliche Qualitäten hätten. Durch die Herumtexterei käme man sich bedeutend näher – je nach Wortwahl könne der Kontakt Lust auf mehr machen. Das ginge dann wohl so: Die oben genannte L liegt neben oben genanntem Ehemann im oben genannten Ehebett. Beide haben ihr Smartphone in Händen und twittern lasziv.
Sie an ihn: @ehemann, ich bin feucht wie ein Kellerloch, wie wär’s mit #geschlechtsverkehr? Er an @diebesteallerbesten: Allzeit bereit, greif mir schon mal ans #Gemächt. Das Ganze vor dem gesamten Twitter-Publikum. Hm, wer da nicht geil wird, wird nie mehr geil.
gabriele.kuhn(at)kurier.at