Endlich darüber reden
Von Gabriele Kuhn
Offenheit kann ja etwas Wunderbares sein, aber gleichzeitig belasten.
über das Outing sexueller Fantasien
Sexuelle Fantasien sind der Löwenzahn des Liebeslebens – wildwüchsig, allmächtig, omnipräsent. Beinahe jeder Mensch hat sie. Da liegt man im Bett, gleitet sanft in den Alpha-Zustand, um dann Kopfkinofilme zu erleben, auf denen ein „Nicht jugendfrei“-Pickerl pickt. Oder man sitzt in der U-Bahn, und, hops, gleiten die Gedanken ab: Man vögelt im Geiste mit dem Schwarzkappler (zugegeben: sehr absurd!), stellt sich vor, wie die Dame gegenüber nackt schmutzige Textnachrichten verfasst oder sieht sich selbst schmutzige Sachen in den Öffis machen.
Die geheime Wildnis
So ein „geheimer Garten“, wie Nancy Friday sexuelle Fantasien einmal genannt hat, ist nur dann Garten, wenn er blüht. Den darf jeder für sich pflegen, jedem Menschen sein süßes Geheimnis. Mitunter aber werden sexuelle Fantasien zur persönlichen Belastung. Nämlich wenn sie sich als Idee manifestieren und gekommen sind, um zu bleiben. Dann mutiert das Lust-Spiel zur Last und die damit verbundenen Bilder bewirken einen seltsamen Rien-ne-va-plus-Effekt: Nix geht mehr ohne „das da“, oder es geht „normal“ nur mehr ein bisschen was. „Das da“ steht über allem, unausgesprochen, drängend, dominant. Davon Betroffene erleben ihre Sehnsüchte als Problem, über das sie mit niemandem sprechen können, schon gar nicht mit dem geliebten Partner. Ja, es kann schon verdammt schwer sein, jenem Menschen, mit dem man Müslischüsserln und Blümchenbettzeug teilt, sein drängendstes Wollen mitzuteilen. Überhaupt, wenn dieses Wollen keine Alternative mehr zulässt, sondern nur mehr diese eine Version von sexueller Erfüllung im Kopf herumgeistert. Und Versionen dieser Erfüllung gibt es viele – sexuelle Fixierungen auf Objekte, Erlebnisse, Settings, Praktiken, die „Normalos“ womöglich erschrecken und abstoßen würden. Gut, keiner muss sich zwingend beim Heurigen und in der Freundesrunde als Mensch outen, der nur dann gut geil wird, wenn er an schmutzigen, intensiv getragenen Stöckelschuhen schnuppert und sie dann leckt (wobei wir hier tatsächlich von einer eher harmlosen Fixierung sprechen). Darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, Mut zur sexuellen Beziehungs-Offenheit zu haben. Doch wie viel davon tut und geht gut? Offenheit kann ja etwas Wunderbares sein, aber gleichzeitig belasten. Speziell dann, wenn sich vermeintliche Abgründe auftun und befürchtet wird, dass der Partner sie nicht aushält. Die schlimmste Angst in diesem Zusammenhang klingt oft so: „Wenn ich davon erzähle, werde ich nicht geliebt und abgelehnt.“
Gleichzeitig führt das innere Drängen dazu, dass sich die Abgrund-Lust eigene Wege bahnt, meist in die Tiefen des Internets oder andere verbotene Orte. Das Ergebnis: noch mehr Geheimnisse, noch mehr Dunkelheit, noch mehr Problem. Vorausgesetzt es ist Liebe, muss es eine Möglichkeit geben, diesem Problem Raum zu gewähren. Dabei geht es darum, sich dem Partner zuzumuten, das Unaussprechliche anzusprechen, um so ein Problem zu integrieren, statt es in den Schatten zu stellen (oft im Rahmen einer Paartherapie). Der erstaunliche Effekt, so der Sexualwissenschaftler Christoph Joseph Ahlers: „Der Druck weicht und häufig muss eine Realisierung der Fantasie gar nicht mehr sein – weil sie sein kann.“