Meinung/Kolumnen/Sex in der freizeit

Es war einmal ...

Der Kurti lebt nimmer." Freundin F sagt das sehr melancholisch. Und wenn man sie fragt, wer genau eigentlich der Kurti sei und weshalb er nicht mehr unter uns weile, wird ihr Blick noch schattiger. Bonjour tristesse.

"Der Kurti war mein Erster". Erster was? Erster Hamster? Erster Teddybär? Erster Kuss? F senkt den getrübten Blick, kramt nach etwas zum Schnäuzen und sagt: "Weißt eh. Der Kurti!"

Weiß nix, aber, ahhh, man ahnt etwas. Der Kurti war Fs erster Mann. Der, der die Ehre hatte, in ihrem Leben für immer und ewig als "First Eindringling" gebrandmarkt zu sein – an einem schönen Nachmittag im 21. Hieb, im Jugendzimmer des damals 17-Jährigen. Dessen Zimmerwände vollgeklebt waren mit Black-Sabbath- und Led-Zeppelin-Postern. Und, ja, er hatte eine schwarze Lederhose an, spitze Stiefel und immer einen Bazooka im Mund.

Aus dem Internet hätte sie es erfahren – als sie an einem faden, verregneten Nachmittag alte Affären googelte und tatsächlich auf den Kurti stieß. Irgendein Vereinsblattl – der Mann schien begeisterter Vereinsmensch – hatte seine Parte gepostet. Wir werden dich nie vergessen. Der Kurti tot, mit 54. Während die anderen Ge­googelten sich als älter, blader, aber immerhin lebendiger erwiesen. Der N hat ein Sonnenstudio am Land, der P ist in Pension, aber Vorsitzender eines Bowlingvereins, der S hat zwei Firmen in den Sand gesetzt. Der F wird polizeilich gesucht. Nur der Kurti – unter der Erde, irgendwo draußen, auf einem Vorstadtfriedhof.

Meine vorsichtige Frage "Ähem, eh sehr berührend, aber das alles ist jetzt auch schon ein Weilchen her, weshalb die Erschütterung?" quittiert die Gute mit einem Seufzer: "Hast ja recht. Aber weißt, ich sehe ihn immer noch vor mir. Wie er mich mit seinen langen Haaren und dem Flinserl im Ohr g’fragt hat, ob ich seine Plattensammlung sehen möchte." Es scheint, als hätte sie die Momente fotografisch festgehalten. F schildert den Nachmittag ihres ersten Geschlechtsverkehrs, als hätte er gestern stattgefunden. Sicherheitshalber seien beide noch vorher schnell zu einem Ola-Automaten, Gummis holen, ja, gut war’s. Bei "Stairway to Heaven" hätte sie sich das Hoserl ausgezogen und er den Slip mit Eingriff, samt psychedelischen Mustern in Orangerotblau. Unter die Decke. "Ich habe damals gewusst, heute ist es so weit. Heute muss es so weit sein. Alle in meiner Klasse waren ja schon entjungfert, nur ich nicht. Der Kurti war meine letzte Rettung, sonst hätte ich meine Entjungferung vortäuschen müssen."

Ja, stimmt schon – es gibt manche Frauen, die wissen nicht mehr ganz so genau über diesen speziellen Moment Bescheid. Aber das Gros hat diesen Augenblick aus Angst, Aufregung, Erwartung, Anspannung und oft einmal bitterer Enttäuschung für immer archiviert. Der erste Mann im Leben eines Weibes ist abrufbar – er markiert eine Wende, gewissermaßen wirkt er wegweisend. Positiv wie negativ.

Mit dem Kurti war die F dann nur drei Monate lang zusammen. "Große Liebe war’s ja nicht." Für jeden durch­vögelten Nachmittag hat sie sich damals einen dicken Punkt in den kleinen roten Taschenkalender von der Zentralsparkassa eingetragen. Ja, viele Punkte waren das. Bye, bye, Kurti. Mach’s gut.

gabriele.kuhn(at)kurier.at