Meinung/Kolumnen/sex in der freizeit

Die Gewissensfrage Nr. 6

Scheinbar nicht enden wollendes Vögeln kann sowohl zur physischen als auch psychischen Herausforderung für sie werden.

Gabriele Kuhn
über Gewissensfragen beim Sex

Vermutlich sollte ich froh darüber sein, dass sich mein Partner im Bett immer wieder was Frisches einfallen lässt, aber ehrlich: Manchmal nervt mich das Geturne und Getue. Dann hätte ich einfach nur gerne eine Runde Missionar und als Draufgabe einen völlig pragmatischen Orgasmus“, schreibt Leserin Y. Daraus, erläutert sie weiter, ergäbe sich auch ihre Gewissensfrage – nämlich die Länge der gemeinsamen Verkehrsschlange betreffend: „Kann ich meinem Liebsten sagen, dass er aufhören soll, mich jedes Mal endlos lange zu bumsen? Oder meinen Sie, ich sollte einfach nur dankbar sein, dass er sich so engagiert?“ Nun, liebe Leserin Y, es ist so: Der Großteil aller sexuell aktiven Frauen würde sich im genitalen Glück baden, angesichts eines so enthusiastischen und kreativen Sexpartners. Einer, der sich Zeit nimmt und ihr Zeit lässt. Denn im Normalfall tendieren Männer eher zum Schnellschuss – was zahlreiche Studien untermauern: Zirka 25 Prozent der Herren sagen von sich, sie hätten kaum eine oder gar keine Kontrolle über ihre Ejakulation. Dann schaut die Nummer so aus: Reinrausreinraus, ruckzuck – vorbei, Spritz-Tour erledigt. Da kommen Frauen nicht mit. So betrachtet müsste jede Frau, deren Bettpartner mit koitaler Muße agiert, froh sein. Aber natürlich gibt’s da, wie überall, einen großen Spielraum für Übertreibungen und Reibungen. Fakt ist: Scheinbar nicht enden wollendes Vögeln kann sowohl zur physischen also auch psychischen Herausforderung für sie werden. Schlichter formuliert: Ihr wird unten heiß und oben fad, zumal weibliche Genitalien leicht überstrapaziert werden können, wenn’s nicht mehr so flutscht wie zu Beginn. Eine häufige Folge exzessiven Herumtuns heißt „Honeymoon-Cystitis“ und gilt als gefürchtete Nebenwirkung allzu beharrlichen und allzu häufigen Geschlechtsverkehrs. Das prolongierte Spiel kann dennoch sehr interessant sein – vorausgesetzt, beide machen mit. Eine Technik, die zu diesem Thema passt, heißt „Edging“. Der Begriff kommt von „Edge“ für „Rand“ oder „Grenze“ und bedeutet, dass man sich permanent am Rande des Orgasmus bewegt, aber nicht kommt. Einerseits hilft das Männern bei der Ejakulationskontrolle, andererseits bringt diese sexuelle Spielart für beide eine Erregungssteigerung. Damit verknüpft ist auch das Konzept des „Tease & Denial“ – für „Erregen und Verweigern“. Die Partner reizen einander, bis jede Körperzelle nach Erlösung lechzt. Das inkludiert sämtliche sexuelle Praktiken, die die Geilheit heftigst steigern können, ohne dabei das Kommen zuzulassen. Die Kunst dabei: exakt in jenem Moment aufzuhören, in dem es am schönsten ist. Fans dieser Spielart erzählen, dass der „erlösende“ und verzögerte Orgasmus schließlich besonders heftig und intensiv ausfällt. Aber klar: die Nummer muss man können – und vor allem wollen. Manchmal führt Edging zu unangenehmen Begleiterscheinungen – Schmerzen in den Hoden bei Männern, etwa. Das geht so weit, dass sich der Hodensack aufgrund der gesteigerten Blutzufuhr blau färbt. Man spricht dann von „Blue Balls“. Mit „Tease & Denial“ wird übrigens gerne in der BDSM-Szene herumgespielt. Fazit, liebe Leserin Y: Reden Sie mit Ihrem Liebsten und versuchen Sie in seinem Faible für die Lang-Version neue Reize zu entdecken. Nicht immer, aber immer öfter.gabriele.kuhn@kurier.at