"Die müssen sich viel besser intre... intrigieren!"
Von Heinz Wagner
Oidaaaaa, was is mit diaaaa?!"„Was lochst sooo?"...Pöbeleien, aggressive Stimmung vor dem und im Foyer des Theaters Eisenhand. Irgendwie – so drängt sich`s auf – dürfte da schon zum Stück „Verrücktes Blut" gehören. Macht aber trotzdem ein mulmiges Gefühl. Als es losgeht, müssen alle über einen Teil der Bühne, die ein Klassenzimmer andeutet, gehen, bevor sie zu den Publikumssitzen kommen. 13 grüne Plastiksessel, großteils irgendwie beschrieben und bemalt, wie`s eher von Schulbänken bekannt ist. Provokativ steht auf einer Rückenlehne: „Wer Rock trägt, ist eine Schlampe!"
Profi plus authentisch spielende Laien
Angriffsziel ist die Lehrerin, Frau Kelich. Diese steht hilflos im Chaos von gegenseitigem Anstänkern der durchgängig schwarz und grau gekleideten Schülerinnen und Schüler. Hebt sie die ausgeteilten Reclam-Hefte mit Schiller-Texten wieder auf, fliegen diese in der Regel postwendend wieder durch die Gegend. Mehrere Anläufe, mit dem Unterricht beginnen zu wollen, gehen unter. „Es ist jetzt 8 Uhr 25!..." - „Nein 8 Uhr 24!" wird sie angeschnauzt. „Oida", „Schlampe", „Nutte" schwirren nur so durch den Raum. „Was ist überhaupt eine Schlampe? Ihr wisst ja nicht einmal das!" versucht sich die „Lehrerin" wieder einmal Gehör zu verschaffen.
Zeynep Buyrac, die sie darstellt, ist übrigens die einzige Profi-Schauspielerin. Die Schülerinnen und Schüler werden auch tatsächlich von solchen gespielt. Manche standen schon mehrmals in Theaterprojekten auf Bühnen wie Isabel Schölmbauer, die überzeugend die Aggro-Typin Balkan gibt (im Original aus Berlin aber auch in der erst vor wenigen Monaten in Wien gespielten Version übrigens von einem Mann gespielt). Für andere wie Clemens Öllinger-Guptara oder Anna Eroğlu ist die Linzer Version des Erfolgsstückes, das auf dem französichen Film „Heute trag ich Rock" basiert eine Premiere, wenngleich die zuletzt genannte dem KURIER anvertraut, „ich wollte schon als kleines Kind Schauspielerin werden". Die beiden nun genannten reisen übrigens immer einiges zu Proben und Aufführungen an, die eine aus Traun, der andere sogar aus dem Salzburger Mittersill.Entsprechend dem höheren Mädchenanteil der Jugendlichen, die sich beim Casting für eine Rolle in diesem Stück, das im Landestheater unter der Schiene „Freispiel" läuft, beworben hatten, schrieb Regisseurin Aslı Kıslal auch einige der Burschen-Rollen um.
Machtrausch
Zurück zum Stück: Die engagierte Lehrerin will den Jugendlichen Schiller näher bringen. „Die Räuber" sowie „Kabale und Liebe" hat sie für den Projekttag ausgesucht. Und verzweifelt daran, diesen Migrantenkindern scheinbar keine Bildung vermitteln zu können. „Ihr seid`s rausgeschmissenes Geld!" Dabei habe sie sich doch so bemüht, dass die im Rollenspiel aus sich herausgehen könnten. Und sogar Verbindungen zwischen den alten Texten und dem realen Leben herstellen sollten – neben Liebe auch Themen wie Verantwortung, Ehrenmord, Kampf um Selbstbestimmung usw.
Erst als im Gerangel aus „Balkans" Tasche eine Pistole fällt und sich die Lehrerin in den Besitz der Waffe bringt, hält sie sie in Schach, zwingt sie dazu, sich mit den Texten auseinander zu setzen, in die Rollen einzutauchen. Nur Miriam (Sarah Abdelnour) kann sie lange nicht dazu bringen, sich nach ihrer, der Lehrerin, Vorstellung von ihrem Kopftuch zu befreien. Dass die glaubhaft versichert, sie trage es aus eigener, freier Überzeugung und deutlich signalisiert, auch von den Machos der Klasse sich nicht unterdrücken zu lassen, ist der Bildungsbürgerin ziemlich egal.Die kippt in den Machtrausch, der sich schon mal einstellen kann, wenn wer eine Waffe in der Hand hält. Ja sie will sogar die Tyrannen der Klasse wegpusten. Und ist voll fertig, als die Mitschülerinnen und Mitschüler, sogar arg gemobbte, in einer freie, geheimen, demokratischen Abstimmung alle für deren Freilassung stimmen. Und ihr obendrein Saätze wie "Gewalt ist keine Lösung" entgegen geschleudert werden, die sie zuvor - unter Waffendrohung" den Jugendlichen eintrichtern hatte wollen ;)
Es folgen nochmals mehrere kurz angespielte Brüche. Aber ein bisschen Überraschung sollen künftige Besucherinnen und Besucher ja schon auch noch haben.
Hoamatland...
Mehrmals wird die Dramatik des Stücks gebrochen. Durch drei Lieder _ die Landeshymne „Hoamatland", die Bundeshymne und die heimliche Hymne „I`m from Austria". Und durch jeweils davor eingespielte Videos, in denen Passantinnen und Passanten zu Wort kommen mit Antworten auf Fragen, was Heimat für sie wäre oder ab wann MigrantInnen integriert seien und welche Lieder ihnen zu Heimat einfielen.
Unfreiwillig komisch, wenn uralt Eingesessene zugeben müssen, weder Text noch Musik der Bundeshymne zu kennen aber gleichzeitig sehr massiv verlangen, „dass sich die alle stärker intrigieren" müssten.
Die Linzer Version von „Verrücktes Blut" ist ein starkes Zusammenspiel zwischen der Profi-Darstellerin und den jungen, engagierten, sehr authentisch spielenden Jugendlichen. Nicht zuletzt durch den Beginn schon vor dem Theater, in dem die Zuschauerinnen und Zuschauer richtig angegangen werden sowie dank der Videos durch die sie zum eigenen Nachdenken über die gestellten Fragen gedrängt werden, kann das Stück vielleicht auch zum Aufbrechen von Klischee-Vorstellungen beitragen.
Infos
BesetzungSonia Kelich, Lehrerin: Zeynep BuyracMariam, Schülerin: Sarah AbdelnourLaura, Schülerin: Angela Barnreiter (bei einigen Vorstellungen springt die Schauspielstudentin Ivana Nikolić ein)Ayana, Schülerin: Lisa IradukundaBalkan, Schülerin: Isabel SchölmbauerBastian, Schüler: Maximilian SteinHakim, Schüler: Clemens Öllinger-GuptaraAgo, Schülerin: Elisabeth GlavitschHasan, Schüler: Mirkan ÖncelAlena, Schülerin: Antonia SchneckenleitnerRadu, Schüler: Daniel CretiuConny, Schülerin: Joy MaderAsya, Schülerin: Anna EroğluNurana, Schülerin: Anastasia Kim
Inszenierung: Asli KislalBühneneinrichtung und Kostüme: Magdalena WiesauerVideo: Anna de Mink und Anna WagnerDramaturgie: Katrin MaiwaldTheaterpädagogik: Anke Held