Wie wäre das, so ganz ohne Wein?
Von Doris Knecht
Keine Wohlfühl-Lektüre, außer für jene Gruppe von Lesern, die keinen Alkohol trinkt.
über ein Buch
Heute: ein kleiner Buchtipp, bevor bald die Punsch-Saison beginnt. Keine Wohlfühl-Lektüre, außer für jene Gruppe von Lesern, die keinen Alkohol trinkt. Und noch mehr für andere Leser, die sich von dem Buch erkannt und verstanden fühlen werden: jene, die keinen Alkohol mehr trinken, ganz und radikal.
So wie Daniel Schreiber, der Autor von "Nüchtern. Über das Trinken und das Glück" (Hanser Verlag). Schreiber, geboren 1977, lebt nach einem längeren New-York-Aufenthalt seit Jahren in Berlin, erst als Kulturredakteur verschiedener Magazine, jetzt als freier Autor. Alkohol gehörte all die Jahre völlig selbstverständlich zum Leben des Party-Menschen, in dem allerdings vieles nicht so funktionierte, wie er sich das vorgestellt hatte. Also trank er sich seine Probleme entspannter, oder er glaubte es zumindest: bis er merkte, dass sein Problem vor allem das Trinken war. Jahrelang versuchte er vieles, um es in den Griff zu bekommen, es zu kontrollieren, bis er schließlich das Einzige tat, das ihm half: Er ließ es ganz.
Schreiber erklärt, warum er das tat. Er legt dar, wie schwierig es war und was ihm dabei half. Er beschreibt, was es bewirkte. Und er erzählt, wie er sich nun in einer Gesellschaft zurechtfindet, die mit Alkoholikern viel besser umgehen kann als mit Menschen, die Alkohol verweigern: In der man als Verräter an der Tradition und als Vertragsbrüchiger gilt, wenn man das angebotene Glas Wein ausschlägt. Weil das ein Alkoholproblem suggeriert, wodurch man aus der Komplizenschaft derer ausschert, die sich konsensuell darüber verabredeten, dass sie keines haben.
"Nüchtern" ist mitunter sehr unbehaglich zu lesen, und man würde es immer wieder weglegen wollen, wenn es nicht so gut geschrieben wäre, so sachlich, so poetisch und vor allem: so unmissionarisch. Deshalb liest man weiter, auch weil man wissen will, wie es sich lebt, so ganz ohne Alkohol. Wie das wäre. Und was wäre, wenn man selber ein Alkoholproblem hätte. Hat man natürlich nicht. Trotzdem: äußerst empfehlenswerte Lektüre.