Vitamin D, stamperlweise
Von Doris Knecht
Vitamin D, stamperlweise.
über die Grippe
Was man diesen Winter nicht vermisst: die Grippe-Panik, die uns in den letzten Kalt-Semestern in Atem hielt und unsere Hände wund, weil wir sie praktisch permanent unter bakteriensichere Seifenspender und No-Touch-Wasserhähne halten mussten.
Heuer: nichts, vergleichsweise. Keine Vogel-, keine Schweinegrippe, keine neue, keine asiatische, keine Berliner und auch keine Mistelbacher Grippe. Wie kommt’s? Wurden die Erreger ausgerottet oder sind heuer alle geimpft? Während in den letzten Wintern die Frage, ob die ständige Begrüßungs- und Abschiedsbusslerei unter Freunden nicht lebensgefährlich sei, beinahe zum Ende der Bussi-Bussi-Gesellschaft geführt hätte, werden die Tröpfchenerreger heuer ungeniert dem jeweils Nächsten auf die Backe gepickt. Eh werden auch heuer Menschen krank, aber ohne die hysterische Angst vor Ansteckung. Noch gar nicht gehört: Das Wort Pandemie, das die Menschen vor zwei Jahren derart in Schrecken versetzte, dass viele es nicht mehr wagten, das Haus zu verlassen, geschweige denn, sich in Räumlichkeiten zu begeben, in denen andere Humanoide atmeten, schlimmstenfalls unbehandschuht. Heuer alles easy. Mir recht.
Es wäre mir auch recht, wenn das angesagte Wochenend-Wetter mit Temperaturen bis zu 19 Grad gleich den Umschwung in einen langen, milden Frühling bringen würde. Allmählich wird’s zäh, kaum mehr einer ist frei von winterdepressiven Stimmungssenkungen, individuelle Selbstmedikation greift um sich. Die einen ziehen sich Vitamin D stamperlweise rein, die anderen simulieren sich mit viel Gin Tonic unter der Lichtdusche einen Sommer, wieder andere kalmieren ihre Winterverzweiflung mit rauschigem Kauf von bunten Sandalen, und ihre Autorin schaut sich wie süchtig Urlaubs- und andere Sommerfotos an: türkises Meer, goldener Strand, Schwimmflügelorange, Maiwiesengrün, Sonnenbrandrot, Nagelpilzgelb. Während man in ein papierweißes Taschentuch niest … Danke. Nur eine Erkältung, keine Panik.