Leicht angezipft, ein Tick Verzweiflung

Tagesordnung heute: Lob der neuen Jahreszeit. Intensives Preisen, Frohlocken, Absingen vielstimmiger Hosiannas. Hosianna, der Frühling ist da. Zumindest winkt er schon mal fröhlich aus dem Winter heraus. Natürlich kann an dieser Stelle monieren: Ma bitte!, fad, das Ereignis findet doch zuverlässig jedes Jahr statt. (Das "Ma" muss man so intonieren wie es Josef Hader tut, auch in seinem famosen Film "Wilde Maus": leicht angezipft, mit einem Tick Verzweiflung).

Aber der Tag, an dem nach dieser langen, langen, langen Phase fürchterlicher Finsternis beim Weckerläuten die Welt vor dem Fenster plötzlich nicht mehr dunkelschwarz ist, sondern nur noch marineblau, ist immer wieder ein wunderbarer. Und wenn dann schon bei der ersten Tasse Kaffee unerwartet die Sonne durchs Fenster bricht, dann ist das wie Weihnachten, Geburtstag und Literaturnobelpreis für Bob Dylan zusammen.

Es gibt die Regel, dass ein Kolumnist nie übers Wetter schreiben darf. An die halte ich mich nie. Wenn man sich in einer Situation befindet, in der man fürs Wetter dankbar sein kann, einfach so, ohne dass man vom Wetter irgendwas Existenzielles benötigt, ohne dass das Wetter dringend so oder anders sein sollte: dann ist das ein brauchbarer Indikator dafür, wie gut es einem gerade geht.

Kürzlich habe ich mich mit jemandem über diese beiden Kreise unterhalten, den Circle of Influence – also den Bereich, auf den man selber Einfluss nehmen kann –, der sich innerhalb des Circle of Concern befindet, dem Bereich jener Dinge, die einen in irgendeiner Weise beschäftigen, gut oder schlecht. Sich bewusst zu machen, dass es wenig Sinn hat, sich über die Dinge, auf die man keinen Einfluss nehmen kann, aufzuregen und es in Folge zu lassen, kann die Lebensqualität entscheidend verbessern.

Sich darüber zu freuen, dass es innerhalb dieses Bereiches auch richtig pipifeine Sachen gibt, wie Sonne zum Frühstück und knospende Kastanienbäume, das macht sie vielleicht sogar noch besser.