Wo bin ich eigentlich?
Von Doris Knecht
Das gleiche Gewand in den gleichen Schaufenstern in exakt gleich eingerichteten Geschäften.
über Identität in der Stadt
Heute gehen wir in die Kleine Sperlgasse und setzen damit den dieswöchigen Trend zur bewussten, altmodischen Verlangsamung fort. (Apropos altmodisch: Kürzlich wurde Ihre Kolumnistin für den "Scheiß Internet"-Preis nominiert, mit dem das Künstlerkollektiv monochrom "unqualifizierte Statements gegen das Informationszeitalter" würdigt. Die Autorin erfülle, so die etwas schwammige Begründung, den Tatbestand der "Verbreitung von Halbwahrheiten über das Internet." Oh. Okay. Danke. Habe dann aber eh nichts gewonnen.)
In der Kleinen Sperlgasse 2c jedenfalls, an der Mauer des Sperl-Gymnasiums, leuchten ab heute ein paar der alten Schriftzüge, die früher Wien prägten und vor vielen Jahren ein Landpomeranzen-Mädchen faszinierten, das zum ersten Mal mit der Straßenbahn durch das nächtliche Wien fuhr.
Natürlich lässt sich einwenden, dass hier Nostalgie gehätschelt und sentimentale Rückschau gehalten wird von Leuten, die sich immer noch die gute alte Greißlerei zurückwünschen, die – wie wir, die wir uns daran erinnern, wissen – auch nicht immer das Gelbe vom Ei war, zumindest war das Ei nicht immer frisch. Aber würde man heute von einer gigantischen Hand aufgepickt und in irgendeiner Innenstadt wieder abgestellt werden, könnte man auf Anhieb nicht sagen, wo man ist: Wien, Köln oder Leipzig? Paris, London oder Prag? Weil die nun alle gleich aussehen. Überall dieselben Goldquartiere und Luxusmeilen mit breiten, schwarz gewandeten Security-Riegeln davor, in ihrem Umkreis überall dieselben Filialen der globalen Textilkonzerne hinter ihren genormten Glas-Stahl-Fassaden: Das gleiche Gewand in den gleichen Schaufenstern in exakt gleich eingerichteten Geschäften unter den identischen Schriftzügen.
"Ein Stück Wiener Identität, das nicht aus dem Alltag verschwinden soll", argumentieren die Stadtbeschrifter ihre Aktion (www.stadtschrift.at). Es mag ein naiver, sinnloser Einwand gegen die faktische Kraft der Gegenwart sein: Verkehrt ist er nicht.