Meinung/Kolumnen/Knecht

Auf zur fröhlichen Selbsttransformation

Es steckt schließlich ein Narr in jedem von uns, und ab und zu muss er raus.

Doris Knecht
über die Fußball-WM

Man wird immer wieder überrascht, diesmal von Leserin Gerlinde B. und vom Leser Rudolf S. Die fühlten sich beleidigt von einem Satz anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft, der da lautete: "Möget ihr Freude an der WM haben, ihr Narren." Das war bitte lieb gemeint! So wie in "Fußball-Narren" und in "närrisch"!

Und es passt ja: Die Lektüre der Zeitungen der letzten Tage und Wochen verfestigte wieder einmal den Verdacht, dass die Menschen sich gern verrückt verkleiden und bemalen: Bilder vom Zoo-Lauf, vom World Naked Bike Day, vom Life Ball, von der Regenbogenparade, vor allem aber auch von den Zuschauerrängen bei der Weltmeisterschaft offenbaren aufs Augenscheinlichste eine tiefe menschliche Sehnsucht, die Alltags-Persönlichkeit hin und wieder ins Fantastische zu expandieren. Ein Zeiterl nicht nur das übliche, gewohnte, ja: fade Man-Selbst zu sein, sondern ein anderer oder eine andere. Oder beides auf einmal. Oder etwas völlig anderes, und als das ein bisschen lockerer als sonst.

Die Anlässe, zu denen man das darf, das fällt auf, werden häufiger, von Halloween bis zum mexikanischen Totenfest wird jede international verfügbare Feierlichkeit importiert und zur fröhlichen Selbsttransformation genutzt. Plus: Es werden auch Anlässe adaptiert, die ursprünglich diesen Zweck nicht hatten. Fußball-Weltmeisterschaften zum Beispiel, bei denen man sich früher höchstens mittels Trikot oder Schal zur favorisierten oder per Wimpel zur nationalen Mannschaft bekannte: Jetzt wurden sie zum Karneval aufmunitioniert, an dem kaum wer ungeschminkt bleibt. Wenn, wie vorgestern, selbst das Public Viewing in der sonst eher bieder-ernsten Schweiz zur zweiten Fasnacht gerät, bei der kaum ein undekoriertes Antlitz mehr zu sehen ist, drückt das eine große Lust an der Verwandlung aus.

Der sollte man vielleicht viel offensiver Rechnung tragen. Eventuell mit einem monatlichen Verkleidungstag auf freiwilliger Basis… Es steckt schließlich ein Narr in jedem von uns, und ab und zu muss er raus.