Warum sind die Rollos zu?
Von Doris Knecht
Wieso sind in dem einen Zimmer permanent die Rollos geschlossen?
über Cleveland
Die Geschichte von den drei Frauen, die in Cleveland, Ohio, nach zehnjähriger Gefangenschaft befreit wurden, lässt wohl niemanden kalt. Schon gar nicht hier in Österreich.
Wie in Strasshof und in Amstetten fragen sich auch in Cleveland die Nachbarn von Ariel Castro nun, warum sie in all der Zeit nichts bemerkt haben. Und ob ihnen etwas auffallen hätte müssen. Wer die Bilder der Straße sieht, fragt sich das auch: Es sind kleine, einstöckige Holzhäuser mit Veranden davor und Höfen dahinter, die recht eng nebeneinander und vis-à-vis stehen. Und während rundherum die Menschen ihren ganz normalen Alltag lebten, entführte der nette Nachbar drei junge Frauen, eine nach der anderen. Er hielt sie gefangen, quälte und missbrauchte sie und zeugte offenbar mit mindestens einer von ihnen ein Kind.
Und rundherum fand ganz gewöhnliches nachbarschaftliches Leben statt, man grüßte sich vermutlich, winkte sich im Vorübergehen zu, tratschte über den Gartenzaun hinweg, schimpfte übers Wetter, borgte sich vielleicht eine Tasse Zucker aus, brachte die irrtümlich vertauschte Post hinüber, fischte den verirrten Ball der Kinder aus dem Garten. Was zwischen Nachbarn halt so geschieht.
Man fragt sich, auch weil es ja nicht allzu weit von uns allen entfernt schon geschehen ist, ob es nicht gerade wieder geschieht. Es ist tatsächlich sehr wahrscheinlich, dass es in Häusern und Kellern gerade jetzt wieder geschieht, hinter lackierten Gartenzäunen, schön verputzten Mauern, unter Tulpenbeeten. Man blickt dieser Tage wieder einmal genauer zu den Nachbarn hinüber, neben denen man seit Jahren oder Jahrzehnten ganz normal daher lebt. Wie gut kennt man die eigentlich? Weiß man, was die so machen? Wieso sind in dem einen Zimmer permanent die Rollos geschlossen? Und warum bauen die eigentlich seit Jahren an ihrem Häusl herum?
Es kann überall geschehen: vielleicht genau dort drüben im Keller, genau jetzt.