Jetzt erst Knecht: Kein Franz, keine Mini
Von Doris Knecht
Schon Tucholsky habe festgestellt, dass man mit zehn Fingern auf der Schreibmaschine die Welt nicht verändern könne. Aber, fügte Christine Nöstlinger im "Lesart"-Gespräch hinzu: "Aber man kann flankierende Maßnahmen setzen." Ich bin nicht mit Christine Nöstlinger aufgewachsen. Der Dschi Dschei Wischer im Radio war das Erste, was ich von ihr kannte. Nöstlinger gab es bei uns im Ländle nicht. Auch nicht, argwöhne ich jetzt, in der Dorfbücherei, und ich muss das wissen, weil die habe ich als Kind praktisch ausgelesen. Ich las alles von Lindgren und Preußler, von Blyton und Andersen, von May und Haushofer (nein, "Die Wand" erst später). Ich las nie Nöstlinger. Ich kannte keinen Franz und keine Mini. Vielleicht fanden die Landeltern und Gemeindebüchereimitarbeiter die Geschichten über Stadtkinder mit arbeitenden (und sicher auch, - wie die Autorin - rauchenden!) Müttern und modernen, manchmal durchaus nicht kindgerechten Problemen seien in einem traditionell katholisch geprägten Provinz-System aufwachsenden Kindern nicht zuträglich. Wenn meine Kinder jetzt alles von Nöstlinger vorgelesen bekommen und selber lesen, verspüre ich manchmal ein leises, kindisches Gefühl von Neid, weil mir diese Geschichten als Kind unterschlagen wurden: versäumte Fantasie-Gelegenheiten, verpasste Möglichkeiten, nach woanders zu denken, in eine andere, urbane Welt hinein. Auch: Das Glück, als Kind so ernst und für voll genommen zu werden. Und: Christine Nöstlingers Sprache zu hören und zu lernen, ihren fantasievollen Realismus und ihre Ehrlichkeit, ihre Wärme und ihren Witz. Christine Nöstlinger wird heute 75. Alles Gute zum Geburtstag! Und vielen Dank fürs sture Flankieren.