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Die Sehnsucht nach der Schlange

Offensichtlich herrscht bei uns eine Sehnsucht nach der Schlange

Doris Knecht
über das Anstellen für Pastrami-Sandwiches

Neue Trendsportart: anstellen. Schlangestehen vor Pastrami-Sandwiches, vor Bio-Saiblingen, vor artgerechten Artischocken. Und natürlich immer wieder vor dem gerade besten Kaffee der Stadt. Die Sichtung langer Reihen junger bis mitteljunger, meist leicht angehipsterter Menschen, die sich geduldig vor Pop-up-Imbissen oder Food-Trucks anstellen, lösten bei Ihrer Autorin, die aufwuchs mit Bildern von Ostblock-Bürgerinnen, die sich stundenlang vor Lebensmittelgeschäften um Brot, Wurst oder Milch anstellten, großes Mitleid aus. Bis mir kürzlich klar wurde: Die hier tun das gern, denen macht das Freude, die genießen das.

Auch in Amerika stellt man sich für sein Essen gerne an. Plus, dort betrachtet man die gepflegte, ordentliche Schlange als einen Ausdruck von Kultur und Zivilisation. Vor ein paar Monaten flog ich von New York nach Wien, mit den Austrian Airlines, vor deren Gate in Newark es zuging, wie es vor einem österreichischen Gate eben zugeht: Als der Flug angekündigt wurde, strebten die Passagiere traubenförmig darauf zu, ähnlich wie ein Bienenstock seiner Königin. Etwas abseits stand eine junge Amerikanerin, die mit einer Freundin telefonierte, und dieser, mit einem deutlichen Hauch von Verzweiflung in der Stimme, berichtete, es gäbe hier gar keine Line! Sie wisse überhaupt nicht, wo sie stehen müsse, das verunsichere sie völlig. Während die gelernten Österreicher keine Anzeichen von Panik zeigten. Hier zeigte sich, dass die derzeit so oft gescholtene Gebotsgesellschaft in Österreich doch noch eher am Anfang steht.

Aber offensichtlich herrscht auch bei uns eine Sehnsucht nach der Schlange. Denn wo immer sich zwei oder drei im Namen von Pastrami oder Espresso vor einer Verkaufs-Öffnung versammeln, finden sich sogleich Dutzende, die sich Bauch an Rücken dazugesellen. Es werden dabei offenbar auch Bekannt- und Freundschaften geschlossen, vielleicht sogar Ehen. Wo habt ihr euch kennengelernt? In der Schlange vor dem besten Roggenbrot der Stadt! So macht anstellen tatsächlich glücklich.