Meinung/Kolumnen/Kein Pardon im Salon

„Opfer“ sind „situationselastisch“

Beim „Jugendwort“ ist es " Opfer" – vom (anonymen) Nachwuchsweltmeister Total-Empathie-Amputierter.

Dieter Chmelar
über das Wort des Jahres

Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider“, sagte George Bernard Shaw (1950), „er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen.“ So maße ich mir an, dass heuer die windige Wendung situationselastisch (Gerald Klug) „Wort des Jahres“ wird.

Beim „Unwort“ wären Negerkonglomerat (Andreas Mölzer), beim „Spruch“ We are unstoppable! (Conchita Wurst) und beim „Unspruch“ Das ist nicht jeden Freitag! (Claudia Bandion-Ortner zu öffentlichen Hinrichtungen in Saudi-Arabien) meine Favorits. Beim „ Jugendwort“ ist es Opfer – vom (anonymen) Nachwuchsweltmeister Total-Empathie-Amputierter. Denn ...

... Opfer bezeichnet nicht etwa bedauernswerte, schicksalsgebeutelte Leidtragende, sondern lasche „Loser“ der Gesellschaft, denen, im Ungeist ausgewachsener Alphatiere und ihrer perfekt angelernten Jungmännchen, ganz recht geschieht.

Das nenn ich die Gorilla-Taktik, sprich jenen Lebensentwurf, demzufolge es gilt, den Gerissensten anzubeten und die von ihm Gerissenen auch noch zu verhöhnen.

„Unter allen Tieren“, so Georg Christoph Lichtenberg (1799), „kommt der Mensch dem Affen am nächsten.“ Oder – situationselastisch formuliert: Wenn der Mensch die Weiterentwicklung des Affen ist, warum gibt es dann noch Affen?

Resümee? Der Sohn zum Vater: „Heut’ haben wir in der Schule gelernt, dass der Mensch vom Affen abstammt.“ Darauf der Vater zum Sohn: „Ja, du vielleicht ...“