Ich hatte keine Wut-Oma. Gottlob!
Von Dieter Chmelar
Ich hatte eine Gut-Oma. Sie kannte "Faust", schlug damit aber niemals zu.
über Großmütter
"Freunde", sagte George Bernard Shaw ( 1950), "sind Gottes Entschuldigung für Verwandte." Da liegt mir der alte Kalauer "Iren sind menschlich" auf der Zunge. Ich schlucke ihn freilich wegen eines grandiosen Gegenbeispiels hinunter. Denn meine Oma ( 1981) war beides: Mit mir verwandt und befreundet. Noch mit 87 rezitierte sie fehlerfrei Goethes "Osterspaziergang".
"Vom Eise befreit" waren da nicht nur "Strom und Bäche", sondern auch meine Kinderseele. Meine Oma weckte Liebe & Leidenschaft für Literatur in mir, forderte und förderte meine ersten, auch noch so holprigen lyrischen Gehversuche und sie lehrte mich – dies leider nur mit reichlich durchwachsenem Langzeit-Erfolg – Gelassenheit in Haltung und Ausdruck.
Ein einziges Mal (von Abertausenden beruflichen Begegnungen) traf ich auf ein würdiges, ja fast ebenbürtiges Pendant an Größe, Geist & Güte: Ernst Hinterberger ( 2012). Er ärgerte sich nicht über einen wunderlich gewordenen Serienstar, sondern (ver-)kleidete seinen Unmut in folgenden Zaubersatz: "Schau, der XY (Name der Red. bekannt) war immer scho a Trottel, aber jetz’ is er deppert aa no!" Meine Oma nannte das "supranasalsubilluminiert" – über der Nase unterbelichtet. Klasse!
Ich hatte gottlob keine Wut-Oma. Ich hatte eine Gut-Oma. Sie kannte "Faust", schlug damit aber niemals zu. Danke.