Meinung/Kolumnen/GesMBH

Kernforschung

Die Beatles-Frisur ist verschwunden, Herrn Hanekes angenehmes Wesen ist geblieben.

Karl Hohenlohe
über Werk und Wirklichkeit von Michael Haneke

Fast alle Menschen schließen von Herrn Hanekes Œuvre schnurstracks auf seine Person. Beklemmend, atemberaubend, schockierend, aufwühlend, oft so intensiv, dass man fast nicht mehr hinschauen kann, und es wird wohl so sein, dass Herr Haneke selbst vieles von dem in sich trägt und es – noch schlimmer – auch hinauslässt.

Man würde also vermuten, Herr Haneke sei ein dunkler Charakter, introvertiert, ernst bis düster, ein Hohepriester des Seelenpeins, tagaus, tagein den Abgründen des Lebens hinterherjagend, alles memorierend, um es dann, Jahre später, in komprimierter Form auf die Leinwand zu bringen.

Nun las man von einem Schulkollegen, Herr Haneke wäre schon in jungen Jahren äußerst umgänglich gewesen und er hätte eine Beatles-Frisur getragen, was ja damals sehr en vogue war. Die Beatles-Frisur ist verschwunden, Herrn Hanekes angenehmes Wesen ist geblieben.

Da ist nichts Manieriertes, nichts Übertriebenes, keine Starallüren, sondern Professionalität und sehr viel Freundlichkeit. Nur wenn es um die Arbeit geht, so hört man, gibt es kein Pardon, da kann Herr Haneke auch etwas lauter werden. Der Oscar kommt nicht von alleine.

So sind die meistens Menschen, die Herrn Haneke nur von seinen Filmen kennen, von ihm selbst oft nachhaltig überrascht. Dann tritt das seltsame Phänomen zu Tage, dass man Personen, denen einen düsterer Ruf vorauseilt, die sich dann aber als heitere Zeitgenossen entpuppen, noch mehr schätzt, als grundsätzliche Frohnaturen.