Meinung/Kolumnen/fabelhafte WELT

Überall Zucker

Die aufgesetzte Freundlichkeit der Leute ist nicht zum Aushalten!

Vea Kaiser
über New York und das Österreichisch-Sein

Entweder meine Hirnanhangdrüse hat Schwierigkeiten, Endorphine zu produzieren, oder New York nervt. Sieben Wochen lang freute ich mich darüber, dass neben meiner Wohnung ein Hochhaus errichtet wird – eine Sensation für die Tochter eines 1.400-Seelen-Dorfes, wo bereits die Errichtung eines überirdischen Kellers als Spektakel galt. Doch neuerdings kommen auf der Baustelle schwere Maschinen zum Einsatz, und mein Wohnzimmerboden schwankt, dass ich kurz davor bin, einen Rodeo-Führerschein zu machen. Um an meinem Roman zu arbeiten, muss ich in diverse Koffein-feilbietende Lokalitäten flüchten, doch die sind alle Schriftsteller-feindlich! Im ersten war die Klimaanlage auf arktische Temperaturen eingestellt, im zweiten die Tische so niedrig, dass meine Wirbelsäule Amnesty International rufen wollte, und im dritten dröhnte lauter aggressiver Gangsta-Rap voller Gewaltfantasien, dass ich Angst bekam, irgendjemand würde aufspringen, um die Topfpflanze zu schänden. Ich würde ja gern im Park schreiben, doch es herbstelt. Die Baumratten-Mafia befindet sich auf Versorgungs-Feldzug, und ich habe keine Lust, mir von auf meinen Beinen herumturnenden Eichhörnchen Flöhe zu holen. Frustriert beendete ich den Tag in einer Bar, die Stiegl serviert, und klagte einem aus Wien stammenden Fotografen mein Leid. Er verstand mich! „Die aufgesetzte Freundlichkeit der Leute ist nicht zum Aushalten!“, sagte er. „Und überall ist Zucker drin!“, meinte ich. „Und die U-Bahn stinkt!“, seufzte er. Als ich vor dem Zubettgehen mit meinem Dottore Amore telefonierte und ihm von meinem Tag erzählte, verweigerte er mir jedoch sein Mitgefühl: „Du hast den ganzen Abend Bier gesoffen und mit einem alten Typen darüber gesudert, wie schlecht es euch geht, obwohl es euch beiden super geht? Freu dich! Das Österreichisch-Sein hast du noch nicht verlernt.“

vea.kaiser@kurier.at