Süditalien ist anders
Von Vea Kaiser
Mach dir keine Sorgen mein Herz, ich war schon oft in Italien.
über Süditalien
Tesoro mio, Süditalien ist anders“, sagte mein Dottore Amore tausende Male, bevor wir vergangene Woche endlich nach Süditalien fuhren, damit er mich seiner Familie vorstellen konnte. Er tat diesen Ausspruch stets leicht besorgt, also gab ich ihm ein Bussi auf sein schwarzes gekräuseltes Haar und antwortete: „Mach dir keine Sorgen mein Herz, ich war schon oft in Italien“, woraufhin er noch nervöser wurde: „Ja eben! In Italien. Aber nicht in SÜDitalien.“ Im Nachhinein weiß ich: Er wollte mich vorbereiten. Doch auf den Süden kann dich nichts vorbereiten. Obwohl ich mit vielem gerechnet hatte, bekam ich fast einen Herzinfarkt, als wir in meinem kleinen Fiat 500 namens Alfredo von der Fähre rollten und uns in den apulischen Straßenverkehr wagten. Mein träger Alfredo und der ansonsten sehr gemütliche Dottore rasten los, als seien sie Raubtiere, die nach jahrzehntelanger Käfighaltung in ihrem natürlichen Habitat ausgesetzt wurden. Ich verstand, warum im Süden alle so religiös sind. Man erinnert sich sofort an all die Gebete, die man seit dem Religionsunterricht vergessen hat, wenn ein direkt in die Hölle führendes Schlagloch droht, einen zu verschlucken. Stoppschilder und Ampeln gelten zudem als Verhaltensempfehlungen, die je nach Espresso-Gehalt im Blut beachtet werden oder eben nicht. Meistens allerdings nicht, weil man tatsächlich an jeder Tankstelle einen phänomenalen Espresso bekommt. Angeblich liegt das an dem dreckigen Wasser, und als wir nach einer verwackelten Horizontal-Durchquerung des Stiefels im Großraum Neapel ankamen, wo das Wasser besonders dreckig ist, lernte ich, was richtig guter, fantastisch großartiger Espresso ist: und zwar eine markerschütternde Köstlichkeit, die Körper und Geist so aufrichtet, dass man vor gar nichts mehr Angst hat. Nicht einmal vor dem süditalienischen Straßenverkehr.
vea.kaiser@kurier.at