Der Erzengel
Von Vea Kaiser
Alles kostete mehr und dauerte länger als geplant.
über ihr Kindheitstrauma
Der Puszta-Boy und ich versuchen, uns mit dem Leben in der Baustelle zu arrangieren. Alles ist Chaos. Doch wir interpretieren die Suche nach jedem einzelnen Klumpert als Schnitzeljagd für Erwachsene und die Umzugskartons sind Tetris-Steine, für deren effizient platzsparende Anordnung man Punkte bekommt. (Tetris ist übrigens ein Computerspiel aus jener Zeit, als Jugendliche während der Pokémon-Jagd noch nicht auf meinen Hund trampelten). Dass unsere Küche seit Wochen aus jeweils einem aus der Wand schauenden Gas- und Wasseranschluss besteht, trieb mich jedoch an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Meine Eltern ereilte, als ich Kind war, das normale Schicksal vieler Häuslbauer: Alles kostete mehr und dauerte länger als geplant, weswegen ihre Ehe an die Grenzen ihrer Belastbarkeit geriet. Meine Eltern lachen heute darüber, bei mir hinterließ ihr Hausbau allerdings ein solch feistes Kindheitstrauma, dass ich beim Anblick von nacktem Beton in Tränen ausbreche. „Du bist eine Kreative mit so viel Fantasie, stell dir vor, wie schön es wird, wenn’s fertig ist“, sagte der Puszta-Boy, als wir auf dem Boden saßen und geliefertes Essen aus Styroporbehältern aßen. Wir warteten seit vier Wochen darauf, dass die Anschlüsse so versetzt wurden, dass die Küche eingebaut werden kann. Unser Installateur war im Urlaub und sein „Bua“, der uns helfen sollte, hob einfach nicht das Telefon ab. „Hab Geduld, stell dir unsern zukünftigen Dampfgarer vor!“, beschwichtigte der Puszta-Boy, doch nachdem der Lieferservice schon wieder kaltes Chinesen-Gulasch brachte, hielt ich es nicht mehr aus und rief den nächstgelegenen Installateur an. Sein Name war wohl nicht zufällig der eines Erzengels. Er kam, sah und installierte. Handwerker sind die Werkzeuge der Götter. Mit ihnen strafen sie uns, mit ihnen erretten sie uns aus unseren Qualen.vea.kaiser@kurier.at