Manieren-Koliken
Es war grandios", leuchtete B nach einem ersten Date mit einem Online-Kavalier. "Facts, Schatz", knurrte ich. "Nun", zwitscherte sie, "er sieht eigentlich eher farblos, um nicht zu sagen öd aus. Auch von der Körpergröße her gibt es nach oben reichlich Spielraum, aber das ist mir alles egal. Denn dieser Mann hat so fantastische Manieren!" Und dann schwärmte sie von seiner Eleganz bei der Öffnung der Wagentür, der souveränen Domptierung des Kellner-Balletts und dem Blumenstrauß, der per Boten am nächsten Tag in ihr Büro gekarrt worden war. In Begleitung einer Büttenkarte, auf der in Tinte schwungvoll "Danke!" geschrieben stand.
Ich konnte ihren Enthusiasmus nachvollziehen. Männer, die sich zu benehmen wissen, sind so kostbar wie Schmiergeld-Geständnisse im U-Ausschuss. Nicht zu wenige agieren nämlich wie gerade von der Liane geplumpst. Sie brüllen ein herzhaftes "Mahlzeit!", bevor sie losfuttern, entsenden schauerliche Wonnegeräusche beim Genuss von Getränken, verschicken SMSe mit Smileys und halten Stofftaschentücher für schwul. Mon dieu! Logisch, dass solche dann auch nicht kapieren, dass Frauen postkoital in etwa 7 Minuten 35 in den Armen gehalten werden (sonst wird’s wirklich zu warm) und irgendeinen Schrott von "Augen wie Bergseen" erzählt bekommen wollen.
Auch ich selbst bin ein Manierenstreber. Weniger aus Empathie, als aus Egoismus. Denn die größten Frechheiten kann man nur dann ungestraft loslassen, wenn man sie mit Charme und Höflichkeit umrüscherlt. Das gilt selbst für Attentate. Ehe der Revolutionär Friedrich Adler einen kriegstreibenden Ministerpräsidenten im Speisesaal des Hotels "Meissl & Schadn" 1916 erschoss, besaß er den Anstand, den noch in aller Ruhe sein Rindfleisch verspeisen zu lassen. Ein Mörder mit Herz und Stil eben. Solche gibt es heute gar nicht mehr.
polly.adler(at)kurier.at
Polly Adlers neuer Roman "Wer jung bleiben will, muss früh damit anfangen"…
Der erste Polly-Adler-Roman "Venus im Koma"