Mamas großer Liebling
"Drittes Dinner-Date, keine Beischlafeinforderung, aber schon will er, dass ich seine Mutter kennenlerne. Was hältst du davon?", fragte F. "Klarer Fall von Abschlussorientierung in Kombination mit einer gewissen Schüchternheit. Charmant bis rührend, würde ich meinen. Kein Junge für nur eine Nacht, sondern was Solides. Was Neues in der Beziehungsfarbkarte. Gratuliere!" – "Ich will seine Mutter aber nicht kennenlernen." – "Wieso?" – "Weil ich sie bereits kenne. Indirekt. Bei allen drei Treffen hat sie insgesamt elf Mal angerufen. Sie hat nichts zu sagen, aber ihre Stimme ist dabei sehr laut. Sie klingt wie eine Springmaus, die mit Stromschlägen gefoltert wird." – "Du bist grausam." – "Nein, die ist grausam. Sie weiß, dass er mit mir ist, müllt ihn aber mit Null-Meldungen zu. Ihre neuesten Blutdruckwerte, wie blöd der Nachbar wieder einmal nicht gegrüßt hat, dass die Friseuse ihres Herzens auf Urlaub ist." – "Vielleicht ist sie einsam." – "Einsamkeit ist kein Schicksal, sondern selbst gebastelt. Außerdem: Was ist von einem 45-jährigen Mann zu halten, der seine Mutter nicht unter Kontrolle hat?" – "Dass er den Abnabelungsprozess verpennt hat und sich als Partnerersatz missbrauchen lässt." – "Danke, das ist aber auch wirklich tröstend. Mit solchen Typen lassen sich auch sicherlich gut Kriege gewinnen und Völker gründen." – "Gib ihm eine Chance und stell ihn zuerst deiner Mutter vor." Gefrierschock-Blick: "Bloß nicht! Dann kann dieser Evolutionsbremser schon einmal einen Suchtrupp für seine Cojones formieren." Ich seufzte:"Nun ja, wenn du dein Glück so mit Füßen treten willst." – "Dann wird es mir einmal vor lauter Dankbarkeit auf die Schulter klopfen, weil ich ihm so viele herzzerfetzende Enttäuschungen erspart habe." Eines ist in jedem Fall sicher: "Kompliziert" ist der zweite Vorname unserer Altersgruppe.
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Polly Adlers neuer Roman "Wer jung bleiben will, muss früh damit anfangen"…
Der erste Polly-Adler-Roman "Venus im Koma"