Für alles offen sein
Von Polly Adler
Spätestens dann kapierte ich, dass ich im Komödienfach mein fixes Zuhause hatte.
über Verwechslungskomödien in Paris.
So. Es war mir nicht zu blöd. Ich habe versucht, meine Ferienliebe aus dem Jahr Schießmichtot in Paris ausfindig zu machen. Ich hatte (anfangs) insofern Glück, als dass die nicht einen Allerweltsnamen wie Jean Mouton besaß, und nur eine einzige in Frage kommende Nummer registriert war. Drei Jahre war diese Romanze gelaufen, die in La Rochelle ihren wilden Auftakt genommen hatte. Das elektronische Telefonbuch forderte mich auf, meiner gesuchten Person auch gleich um 5,90 eine Postkarte mit entzückenden Motiven (schnäbelndes Pärchen im Park, Sonnenstrahlen, Blumenherzen) zukommen zu lassen. Ich nahm dankbar an, es ersparte mir verlegenes Telefongestammel. Ich schickte also die Sonne los – mit einem nicht ganz unverbindlichen Text. Zwei Tage später ereilte mich der Anruf einer exquisit höflichen Sekretariatsdame, dass der Maître sich freuen würde, mich im „Deux Magots“ zu treffen. Mein Herz pulsierte. Maître? War der Mann Starkoch geworden? Egal. Im „Deux Magots“ wieselte mir ein zirka 65-jähriger Mann mit Ulkusfalten, der zirka eineinhalb Köpfe kleiner war als ich, freudig entgegen. So viel konnte ich in den paar Jahren nicht gewachsen sein! Und auch sonst hatte er wenig mit jenem belmondoesken Beau mit Hakennase gemein, von dem ich noch immer 75 lavendelblaue Liebesbriefe zuhause habe. Der „Maître“, wie sich herausstellte ein Anwalt und Berater des Justizministers, erklärte mir nach dem zweiten Cognac, dass er keine Ahnung gehabt hatte, von wem diese Postkarte stammen könnte, man aber für alles offen sein müsse. Er wäre zwar verheiratet, aber in seiner Ehe liefe es nicht mehr so, der Wechsel seiner Frau hätte auch auf ihre Libido Einfluss genommen. Spätestens dann kapierte ich, dass ich im Komödienfach mein fixes Zuhause hatte und für das Genre Melodramen einfach zero geeignet bin.
polly.adler@kurier.at