Meinung/Kolumnen/Chaosdeluxe

Du arme, liebe Irre!

Leidenschaft war für Chanel „ein tagtägliches Lourdes“. Sie hatte so schrecklich Recht.

Polly Adler
über Chanel

Sie konnte nicht nur Kostümchen für die Ewigkeit zaubern, sie konnte auch ihre Wunden beschreiben. In „Die Kunst, Chanel zu sein“ referiert Coco über ihre amour pfuuh mit dem Pinsler Paul Iribe: „Ich kann auch nach so vielen Jahren nicht ohne Gereiztheit an die Atmosphäre blinder Leidenschaft denken, die er um mich schuf. Er laugte mich aus, er ruinierte meine Gesundheit!“ Leidenschaft ist für Chanel im Rückblick „nichts als ein tagtägliches Lourdes und eine schreckliche Krankheit“. Ich verstand sie so gut. In keinem anderen Zustand ist man so unfrei, so bereit für allen exzentrischen Unfug. Die größten Blödheiten meines Lebens habe ich aus Leidenschaft begangen. Ich bin frierend bei Nieselregen im Morgengrauen auf Hochständen gesessen und das nicht einmal. Ich bin drei Stunden im Schneesturm durch ein verkehrslahmes New York getrippelt. Ich hatte für sechzehn Menschen fünf Gänge in drei Stunden gekocht, um einen Mann zu beeindrucken. Ich habe mir im Zweitages-Rhythmus Diven-Blumensträuße zustellen lassen, um einen anderen eifersüchtig zu machen. Ich habe Hunderte Euros an Tarot-Zampanas und Astrologie-Interpretinnen verschwendet, um zu wissen, ob der, den ich gerade im grauenhaften Übermaß gegenüber dem Rest der Menschheit überschätzte und seinen Schimmel aus der Parkgarage zu holen gedenke. Es blieb die Erkenntnis, dass just jene, für die ich mich am bereit- und freiwilligsten zum Idioten gemacht habe, es im vergleichenden Rückblick am wenigsten wert gewesen sind. Und man aber dennoch froh ist, diesen Unsinn erlebt zu haben, aber gleichzeitig unendlich dankbar, dass er hinter einem liegt. Am Ende dieses kleinen Gedankenslaloms flüsterte ich mir die selben Worte zu, die Paul Iribe am Schluss seiner Gefühle für Chanel übrig hatte: „Du arme, liebe Irre!“

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