Pelle und der Fortpflanz
Von Polly Adler
Heuer wird am 24. die ganze Familie plus Lieblingsfreunde zu uns in die Casa Kunterbunt umgeleitet. Unter dem Vorwand eines Anti-Stressmanagements für die Oma, aber vorrangig aus purem Fortpflanz-Egoismus. Das Kind ist nämlich Traditionalist, die Oma kocht ihm zu gesund. Fisch und so, vollzach. Es zwingt mich am Weihnachtsabend, Rotkraut, Knödel und Enten, die unter gewerkschaftlichen Bedingungen an einem unverseuchten Weiher Unfug getrieben haben, zuzubereiten. Ich gehe auf den Deal ein, will aber auch etwas dafür. Ja, Engelchen, das ist nun einmal das Zeitalter des emotionalen Kapitalismus. Am dritten Adventsonntag knalle ich ihr Astrid Lindgrens Weihnachtsgeschichten-Sampler auf den Tisch : „Lesen! Jetzt! Und zwar mit Verve!“ – „Meine Verven!“, seufzt das Kind und blättert „Pelle zieht aus“ auf. Es kennt mich nun doch schon ein Weilchen. Pelle ist ein Bub, dem seine Eltern so auf die Nerven gingen, dass er in den Holzschuppen übersiedelte – um dort in bitterster Kälte auf der Mundharmonika herzzerreißende Melodien zu spielen und zu hoffen, dass seine Erzeuger von ihrem schlechten Gewissen übermannt werden würden. Es gehen Tränen auf Reisen, als sie mit finsterer Stimme anhebt, denn ich sehe plötzlich jenes kleine Lockenköpfchen im blauen Samtkleid dort sitzen, für das ich immer zu wenig Zeit hatte. „Jaja, heul nur“, freut sich das wildmähnige Wesen in seinem Proud-to-be-a-problem-Hoodie, „auch du hast endlich begriffen, dass Mutterschaft die höchste Erfüllung in einem Frauenleben ist. Nur jetzt ist es zu spät.“ Und dann grinst es: „Deine sogenannte Karriere wird dir nämlich später keine Wasabipüree-Infusion setzen, wenn du den Löffel abgibst, weil du nicht mehr halten kannst.“ Ja, Leute, emotionaler Kapitalismus ist nun einmal keine Kinderjause.