Mit Listen und Tücke
Von Polly Adler
Wahrscheinlich ist das ihre Form der Rebellion
über das Listen-Faible der Tochter
Und dann machen wir eine Liste“, sagte das Kind und zückte seinen Block, „Listen sind mein neuer Porno.“ – „Oh Gott! Warst du heimlich in einem Führungskräfteseminar?“ – „Nein, Führungskräfte haben Menschen, die für sie Listen führen.“ – „Was für eine Art von Liste? Mehr so Punkt eins: Schöne Tage sammeln, Punkt 2: Zwei Löffel Gelassenheit vor jeder Schlacht schlucken, Punkt 3: Kränkungsresistenz-Aufbau oder eher 1. Fünf Sonnengrüße vor dem ersten Granatapfel-Smoothie, 2. Gummibärchen-Embargo, 3. Mülltrennung ernst nehmen.“ – „Zweiteres, Muttchen. Auch für dich ist jetzt einmal der Zeitpunkt gekommen, wo du deiner Infantilität ein lautes Servus sagen solltest.“ Man hat also Leben unter Schmerzen in die Welt geschossen und dann entwickelt sich dieses Leben zu einer ideologischen Buchhalterin. Aber wahrscheinlich ist dieses Listen-Faible ihre Form der Rebellion. Meine Eltern waren zum Beispiel militante Nikotin-Gegner, Frühaufsteher und Maximal-ein-Glas-Wein-Trinker. Mein armes Fortpflänzchen inhalierte hingegen Chaos bereits mit der Muttermilch und scheuchte mich schon im Vorschulalter vom Weihnachtsbaum, weil ich den nicht nach ihren Symmetrie-Vorstellungen dekoriert hatte. Ich absolvierte eine ausführliche Google-Promenade, um alles über das Seelenkostüm solcher Listen-Pornografen herauszufinden. Und siehe da: Listen haben, so ist sich die Psycho-Meute ziemlich einig, höchst ungesunde Nebenwirkungen. Sie sind quasi von ihrem Naturell her ständige Mahnmale des Unerledigten, erzeugen bei ihren Schöpfern entsprechenden Stress und lähmen durch ihre Kleinlichkeit zusätzlich die Produktivität für die großen Dinge des Lebens. Ich verfasste dem Kind also in Schönschreibschrift eine entsprechende Liste von diesen deprimierenden Erkenntnissen, setzte ihr aber dabei den Punkt „Die mühsame Listenphobikerin, die sich meine Mutter nennt, wie narrisch lieben“ an oberste Stelle.polly.adler@kurier.at