Ein Fest fürs Leben
Von Polly Adler
Die Spritzer wurden nicht mehr glasweise, sondern in Krügen gebracht.
über Melancholie und Lebenslust
Und plötzlich glitt die Trauerfeier sachte in ein Fest. Die Menschen standen auf der Straße vor dem „Engländer“, ratschten, fielen sich in die Arme, man drückte einander ausführlich, viele hat man über Jahre nicht gesehen und erkannte sie erst auf den zweiten Blick. Die Musik wurde immer lauter, die Spritzer wurden nicht mehr glasweise, sondern in Krügen gebracht, die herumfliegenden Schnitzel immer knuspriger, eine Trompete ertönte, die sich vor Miles Davis verbeugte. Ich stellte mir vor, dass der Verstorbene, ein Cafètier allererster Güte und feinsinniger Mensch, schmunzelnd über uns kreiste und sich dachte: „Genau so soll es sein. So geht Begräbnis.“ Man wünschte sich mit aller Kraft, dass das Getriebe, das in einer Tonart zwischen Melancholie und Lebenslust lag, auch den Angehörigen ein bisschen den Schmerz abfederte. Ich dachte an diesem Nachmittag auch an die Menschen, die ich in den letzten Jahren verloren hatte. An meine Freundin C, deren letztes Geschenk, ein Parfüm, ich seit über einem Jahrzehnt auf meinem Schminktisch stehen habe, und von dem ich mir nur zu besonderen Anlässen ein paar Tropfen gönne. Ich dachte an M, mit der ich ein halbes Jahr vor ihrem endgültigen Abflug, durch Paris gewuselt war, auf den Spuren der von uns verehrten Poeten und Schreiberlinge. Ich zwinkerte meiner Großmutter zu, von der ich eigentlich – völlig absurderweise – angenommen hatte, dass sie für den Rest meines Lebens mit ihrer leicht verrutschten Perücke an allen Sonntagen zu Mittag in der Küche stehen und mit besorgtem Blick Erdäpfel rösten würde. Ich dachte an meinen lieben Nachbarn E an der Alten Donau, der jeden Morgen auf die in Sonnenlicht getränkte Donau schaute und lapidar feststellte: „Polly, i siach kan Fehler.“ Und immer erst dann, wenn all diese Selbstverständlichkeiten plötzlich abreißen, merkt man erst, wie großartig sie doch waren. Saublöd organisiert, oder?
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