Meinung/Kolumnen/chaos DE LUXE

Der Seppi-Schock

Dieser Seppi stand also jetzt vor mir und wirkte dabei so bindungswillig.

Polly Adler
über eine Begegnung

Hey-du, Servus-na-das-ist-aber-eine-Freude, wirklich-voll-schön-dich-zu sehen-was-hast-du-denn-all-die-Jahre-getrieben-du-lachst-ja-noch-genauso ...“ Nachdem er diese Wortwurst abgesondert hatte, pflanzte sich der Mann vor mir auf. Er musste sich unter sichtlicher Anstrengung davon abhalten, mir um den Hals zu fallen. Er hatte ein so großes wie furchiges Gesicht. Außer einer zauseligen, grauen Zierleiste trug er keine Haare mehr am Kopf. Unter uns: Hier läuft es besser für uns Frauen: Lieber Cellulitis, als als ein solcher Cabrio-Mensch durchs Leben gehen zu müssen. Ich zwang mir ein in Euphorie getunktes Hallo ab. Ich hatte jedoch nicht einen Zimthauch von Ahnung, wer der Typ war. Während ich in den tiefsten Winkeln meines Personen-Gedächtnisses grub, faselte er etwas von einer Schwester Romalta. Das war die grundgütige Nonne, die mir, der tollpatschigsten aller Kindergarten-Mäuse, immer geholfen hatte, die Schuhbänder gemäß den Genfer Konventionen zu binden. Ein Schock durchrieselte mich. Dieser alte Mann musste ein ähnlicher, wenn nicht identer Jahrgang wie ich selbst sein. Die sich daraus zwingend ergebende Logik war, dass es sich bei meiner Person um eine ebenso alte Frau handelte. Aber: Er hatte mich erkannt, während ich ... Jetzt dämmerte es mir – diese große Glatze war der Seppi. Mein Schwarm Seppi, den ich mit meinen Fingerfarben und den Jausen-Sunkists (Anm: Saft in der Tetrapackung mit Chemiegeschmack) versucht hatte, gefügig zu machen. Aber vergeblich: Dieser unreife Typ war trotz seiner viereinhalb damals einfach noch nicht bereit gewesen für eine Beziehung. Dieser Seppi stand also jetzt vor mir und wirkte dabei so bindungswillig, dass einem angst und bange werden konnte. Ich sagte jetzt langsam und genussvoll: „Schön, dich so lange nicht gesehen zu haben.“
Rache ist ja angeblich ein Gericht, das am besten kalt schmeckt.

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