Meinung

Sonne, Meer und böse Erinnerungen

Zehn Monate vor Manchester erlebte Nizza ein schreckliches Attentat. Die Wunden sind geheilt, Narben geblieben.

Florian Plavec
über Nizza

Das Attentat war ähnlich schockierend, grausam und verstörend wie jenes auf die Konzertbesucher in Manchester am Montagabend. Am 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, raste ein in Frankreich lebender Tunesier mit einem schweren Lkw durch die Menschenmenge auf der Promenade des Anglais in Nizza. 86 Personen starben. Mehr als 300 wurden verletzt. Sie hatten sich versammelt, um das große Feuerwerk zu bewundern.

Nizza, zehn Monate später. 21 Grad, Sonnenschein, eine leichte Brise vom Meer. Wieder Menschenmassen. Schieben sich durch die breiten Fußgängerzonen, als wäre der letzte Einkaufssamstag vor Weihnachten. Die Gastgärten sind voll, man lebt, man genießt. Interpretierbar als klares Statement: Nizza lässt sich nicht unterkriegen.

An der Strandpromenade sind die Spuren der schrecklichen Nacht auf den ersten Blick nicht mehr zu sehen. Junge Frauen stellen neue Bikinis zur Schau, Burschen spielen am grobschottrigen Strand Fußball, Abgehärtete schwimmen im noch kalten Mittelmeer. Dort, wo vor zehn Monaten der Attentäter Menschen in den Tod riss, sitzt ein Straßenkünstler und sprayt Bilder; ein Verkäufer hat auf einem Tuch Strohhüte, Sonnenbrillen und Selfie-Sticks ausgebreitet; Radfahrer, Fußgänger, Jogger und Skater bilden nach österreichischen Maßstäben eine ungewohnt harmonische Masse.

Angst vor einem Attentat? "Nein, Angst hat hier niemand mehr." Das sagt zumindest Marguerite. Die 76-Jährige, die in der Nähe von Nizza wohnt, sitzt auf einem der vielen weißen Stahlsessel und blickt Richtung Meer. "Uns hat es ja schon einmal erwischt. Ein zweites Mal kommen die nicht mehr." Außerdem: "Es wird hier derzeit viel gemacht, damit so etwas nicht wieder passieren kann."

Tatsächlich. Erst nach dem Hinweis der alten Frau wird es offensichtlich: In Vierergruppen marschieren schwer bewaffnete Soldaten durch die Menge. Und die Bauarbeiter neben der Promenade graben weder Kanäle, noch legen sie Leitungen – es werden Eisenpfosten mit 20 Zentimetern Durchmesser auf Betonfundamente geschraubt, verbunden mit fingerdicken Stahlseilen. Noch glänzt die Konstruktion strahlend weiß.

Neben dem Geländer zum Strand liegt ein opulentes Blumengesteck. "Den Opfern des Attentats in Manchester am 22. Mai 2017." Zehn Meter links davon ein Haufen Blumen, die vor Wochen für die Toten von Nizza niedergelegt wurden.

Sie sind längst vertrocknet.