Jedem Flüchtling ist zu helfen – und danach?
Von Oskar Deutsch
Die Gefahren, die Migrationsströme mit sich bringen, dürfen nicht tabuisiert werden.
über die möglichen Folgen der Flüchtlingskrise
Schutzsuchenden zu helfen, sie zu versorgen, ist ein Gebot der Menschlichkeit. Die Gefahren, die die derzeitigen Migrationsströme mit sich bringen, dürfen aber nicht tabuisiert werden.
Fast jeder heute in Europa lebende Jude war Flüchtling. Seit der Zerstörung des Ersten Tempels in Jerusalem im 6. Jahrhundert vor Christus befanden sich Jüdinnen und Juden auf der Flucht vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung, vor Verfolgung und Mord. Daher gibt es, auch über die biblischen Gebote der Nächsten- und Fremdenliebe hinaus, ein jüdisches Selbstverständnis, sich für den Schutz von Verfolgten einzusetzen.
Professionelle HilfeNeben den vielen privaten Initiativen von österreichischen Jüdinnen und Juden, stellt die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Kriegsflüchtlingen seit vielen Jahren professionelle Hilfe bereit. Unser Psychosoziales Zentrum ESRA betreut Menschen jedes Glaubens, die vor Krieg, Folter und Verfolgung geflohen sind.
Neben der seit 2009 bestehenden Zusammenarbeit in Hemayat, dem Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, behandelt ein mobiles ESRA-Team seit 2011 in vier Grundversorgungseinheiten, die vom Fonds Soziales Wien unterstützt werden: im Integrationshaus, einer Einrichtung der Diakonie, der Volkshilfe und der Caritas.
Zugleich muss ich eindringlich vor möglichen Folgen der aktuellen Flüchtlingskrise warnen. Neben der Angst vor Kämpfern des IS und anderer Terrorgruppen im Nahen Osten, geht eine Gefahr von der großen Masse aus:
Die Hunderttausenden, die aus Syrien oder Afghanistan nach Europa kommen, waren einem über Jahrzehnte zu besonderer Aggressivität herangewachsenen Antisemitismus ausgesetzt. In Schulbüchern, Zeitungen, im Fernsehen und sozialen Netzwerken wird Judenhass gelehrt und eingefordert. Terror gegen Israelis wird in den Herkunftsländern ebenso bejubelt wie die islamistischen Angriffe auf jüdische Schulen, Synagogen oder jüdische Museen im Westen.
Wie sich der latente Antisemitismus unter vielen der rund 20 Millionen Muslimen in Europa entladen kann, haben wir in den vergangenen Jahren leider viel zu oft erlebt. Der demografische Wandel und die Zunahme physischer Angriffe gegen Juden sind verantwortlich für Auswanderung von Juden aus stark muslimisch geprägten Regionen Europas.
Erhalt der WerteWarum aber werden die Gefahren den menschenfeindlichen Politikern als Wahlkampfthemen überlassen? Ebenso wie Europa Flüchtlingen bedingungslos helfen muss, müssen wir den Erhalt unserer Werte und Regeln des Miteinanders sichern. Das ist nicht links oder rechts.
Die Trennung von Staat und Kirche, Respekt gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen, die Gleichberechtigung von Frau und Mann sind unantastbar.
Wer das nicht begreift, hat in Europa keinen Platz.
Oskar Deutsch ist Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien