"Ist Notenwahrheit retro?"
Von Niki Glattauer
Lieber Niki, die Politik der letzten 30 Jahre hat behauptet, allein die Wahrheit zu besitzen. Leistung war pfui.
hat Post von einem Leser bekommen
Statt mehrerer Leserinnen-Mails heute nur eines. Es stammt (hier stark gekürzt und umständehalber neu gegliedert) von Hofrat Prof. Walter Strobl, dem langjährigen Vizepräsidenten im Wiener Stadtschulrat. Prof. Strobl, Mitbegründer der Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte und früherer ÖVP-Bildungssprecher, war einer meiner Lehreamtslehrer an der PH. Hauptsächlich kritisiert er in seinem Mail meine Kritik an der türkisblauen Schulpolitik, die er, anders als ich, nicht für retro hält:
Lieber Niki, die Politik der letzten 30 Jahre hat lange Zeit behauptet, allein die Wahrheit zu besitzen. Leistung war pfui und elitär. Der vermeintlich erfolgreiche Weg um soziale Gerechtigkeit zu erreichen, ist im Bildungsbereich massiv gescheitert. Eltern, die noch vor 30 Jahren glühend eine Integration für ihr behindertes Kind verlangt haben, wollen heute genau das Gegenteil. Sie wollen eine hochqualifizierte und nachhaltige sonderpädagogische Betreuung. Das ist retro?
Nachdem in einem noch nie dagewesen Ausmaß österreichische Volksschulkinder nicht richtig lesen können, aber ganz offensichtlich den Weg bis ins Gymnasium schaffen, wird nun der Ruf nach Noten laut, um Klarheit und " Notenwahrheit" zu bekommen. Das ist retro?
Ich denke, es geht in vielen Bereichen jetzt um die Aufarbeitung eines Scherbenhaufens, der aus linker und zu sehr sozialromantischer Ideologie entstanden ist.
Mit dir absolut einer Meinung bin ich in Sachen gemeinsamer Schule bis zum 14. Lebensjahr, weil es die gemeinsame Schule schon längst und gut funktionierend in Österreich gibt. Es sind die Landschulen, wo in den Klassen alle Schüler nebeneinander sitzen, ohne sich mit dem behaupteten Virus der ,Nivellierung nach unten’ anzustecken. Es gibt im gesamten OECD-Bereich nur mehr fünf Länder, die eine Trennung mit zehn/elf Jahren durchführen. (…)
Lehrerbildung muss elitärer werden, das beginnt bei Auswahl bzw. Zulassung zum Lehramtsstudium. Wir müssen den Menschen klar machen, dass Lehrer Kulturträger der Gesellschaft sind und keine Dienstleister, die man wie Dienstboten behandeln kann.
Liebe Grüße, Walter