Meinung

Heilige Marken

Der Kiosk hat nur vergilbte Ansichtskarten. Wahlweise mit einer Schicht Feinstaub oder mit Eselsohr.

Mag. Simone Hoepke
über Briefmarken

Der Mailänder Beamte hat nach meinem Auftritt Beruhigungspillen oder Alkohol gebraucht.

Schuld war die Postkarte. Also eines dieser prähistorischen rechteckigen Dinger aus Karton. Vorne ist ein Bild, hinten schreibt man ein paar Zeilen drauf, Marke drauf, fertig. Zumindest war das früher so, zu Kaisers Zeiten. 1869, als die Postkarte in Österreich-Ungarn eingeführt wurde.

Mittlerweile sind Karten wie Marken etwas aus der Mode gekommen. Liegt wohl an Facebook, WhatsApp und anderen Erfindungen, die allesamt spurlos an meiner Tante vorübergegangen sind. Sie ist über 80, besteht auf Karten und hat keine Ahnung, was für eine Challenge das Losschicken selbiger sein kann.

Zum Beispiel in Mailand. Der Kiosk hat nur vergilbte Ansichtskarten. Wahlweise mit einer Schicht Feinstaub versehen oder mit Eselsohr.

Ich entscheide mich für die Variante Eselsohr samt der letzten am Kiosk verfügbaren Briefmarke, pick sie drauf und erfahre, dass sie nicht mehr den gültigen Tarifbestimmungen entspricht.

Ich eile zur Post. Dort gibt es vieles, aber keine Marken. Der Schalterbeamte von heute druckt Frankierstreifen aus. Er rollt theatralisch mit den Augen. Weil auf der Karte nebst Gekritzel und Marke nicht mehr genügend Platz für die Riesenbletschn Frankierstreifen ist. Fluchend steht er auf und verschwindet durch die Hintertür. Fluchend kehrt er zurück, verschwindet samt Kollegen. Irgendwann tauchen beide wieder auf. Mit einer Schere, mit der sie den Frankierstreifen zurechtschneiden. Die Leute hinter mir in der Schlange verfluchen mich. Meine Tante weiß das nicht zu schätzen. Die Karte ist nie angekommen.

Jetzt hab ich ihr in einem Wiener Souvenirshop eine Karte gekauft. Marken hatten sie keine. Also wieder zur Post. Dort gab es nebst Paldauer-CDs und fragwürdigen Filmen auch Marken. Darauf der Heilige Thomas. Ich bin begeistert. Der Schalterbeamte nicht. Weil so viele arabische Touristen da sind. "Ich hoffe, sie werden zu Hause nicht ausgepeitscht, weil sie Karten mit solchen Marken verschicken",sagt er.