Meinung/Gastkommentar

Wo ist der Klimaschutz?

Wie fühlt es sich an, inmitten eines historischen Wandels zu sein? Es ist jedenfalls kein „Sommer wie damals“. Der Rhein erlebt historische Tiefstände, wir sehen Bilder einer austrocknenden Loire in Frankreich und in Österreich steht der Neusiedler See vor der Austrocknung. Einem Thinktank der EU-Kommission zufolge sind 44 Prozent der Fläche der EU und Großbritanniens von extremer Trockenheit bedroht. Laut WWF-Berechnungen könnte die Zahl der Menschen, die mit teils extremem Wassermangel zu kämpfen haben, in Europa bis 2050 um rund 50 Prozent zunehmen. Die Trockenheit in Europa könnte die schlimmste seit 500 Jahren sein. Umso augenscheinlicher ist der Kontrast zwischen der immer schwerer zu verdrängenden Klimakrise und der nahezu völligen Abwesenheit einer ambitionierten Klimapolitik.

Während die Auswirkungen der Erderhitzung akuter werden, ist eine der Größe der Aufgabe angemessene Politik nicht in Sicht. Keine Frage: Ukraine-Krieg, Energieknappheit, Inflation – all diese Krisen sind real und erfordern volle politische Aufmerksamkeit. Und ja, der Krieg hat die selbst verschuldete Abhängigkeit vom russischen Gas offengelegt und einen kurzfristigen Schub für erneuerbare Energieträger gebracht. Aber dagegen stehen die Aktivierung von Kohlekraftwerken, das Schaffen neuer Gas-Abhängigkeiten sowie der Bau von LNG-Terminals quer durch Europa.

Und selbst 2022 dürfen in Österreich immer noch neue Gasheizungen installiert werden, während das überfällige Erneuerbaren-Gebot in der politischen Warteschleife hängt. Eine echte Energiespar-Offensive ist nicht in Sicht. Durch all diese Entscheidungen steigen die klimaschädlichen Emissionen weiter. Somit steckt die Klimapolitik im Schwitzkasten multipler Krisen. Die politischen Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte rächen sich bitter. Ohne Klimaschutz gibt es keine Wirtschaftskompetenz – aber immer noch führen kurzsichtige Industrielobbys die Wettbewerbsfähigkeit heimischer Unternehmen ins Treffen, um Klimaschutz zu verwässern und zu verhindern. Wer so argumentiert, hat nichts von den bevorstehenden Umbrüchen verstanden.

Aber auch wer vermeintlich im Namen sozialer Gerechtigkeit die notwendigen Veränderungen ablehnt, ignoriert, dass die eskalierende Klimakrise die sozial Benachteiligten am stärksten trifft. Daher die Bedeutung eines starken Klimaschutzgesetzes, das Politik und Wirtschaft eine langfristige Richtung vorgibt. Daher die Dringlichkeit eines umfassenden Energieeffizienzgesetzes, denn ohne Verbindlichkeit werden wir beim Energiesparen gesamtgesellschaftlich keine großen Sprünge machen. Wer hingegen den Klimaschutz in die Warteschleife schickt, wiederholt die Fehler, die uns in die derzeitige Bredouille gebracht haben. Stattdessen muss es „Jetzt erst recht!“ lauten.

Thomas Zehetner ist Experte für Klima und Energie bei WWF Österreich.