Was wir von Zentralbanken für die Pandemie lernen können
Im Jahr 1907 steckten die USA in einer tiefen Finanzkrise. Menschen stellten sich aus Angst um ihr Geld in langen Schlangen an, um es abzuheben. Es war bereits die zehnte Bankenkrise der USA in hundert Jahren; auch in Europa gab es immer wieder Ähnliches. Sobald Menschen das Vertrauen in Banken verlieren und diese zahlungsunfähig werden, stürzt die Realwirtschaft in eine sich selbst verstärkende Krise. Unternehmen bekommen keine Kredite mehr, entlassen Mitarbeiter und schlittern ihrerseits in den Bankrott.
1907 gab es keinen Mechanismus, derartiges zu verhindern und gesunde Banken zu retten. Aber es gab J. P. Morgan. Der rief einige Dutzend der führenden Bankiers New Yorks zu sich, sein Butler schloss sie in seine Bibliothek ein. Morgan verlangte von jedem von ihnen, in einen Fonds zur Stützung des Bankensystems einzuzahlen. Alle mussten bleiben, bis sie sich auf einen Rettungsplan geeinigt hatten. Damit endete die Panik. Morgan war sich bewusst, dass eine systematische Lösung zur Stabilisierung der Finanzmärkte nötig war: „Das ist für jeden einzelnen von uns einfach zu groß“.
Aus dieser Einsicht entstand das Zentralbanken-System der USA und Europas, das bis heute sehr passabel funktioniert. Es hat die Stagflation der 1970er besiegt und recht erfolgreich durch die Finanzkrise 2008 und die Corona-Pandemie navigiert. Und das, obwohl sie jedem Populisten ein Dorn im Auge sein müssten. Zentralbanken sind nicht demokratisch legitimiert, oder nur sehr indirekt.
Sie schauen nicht auf das „gesunde Volksempfinden“, lassen sich durch politische Zurufe weniger beeindrucken als so ziemlich jede andere Institution in unseren Demokratien. Sie sind eine Bastion sachlicher Vernunft. Warum wurden Zentralbanken noch nicht durch politische Stammeskrieger gekapert? Warum lassen Politiker ihnen ihre Unabhängigkeit? Weil der Einsatz zu hoch ist. Wenn Politiker sich die Zentralbank gefügig machen, sind die Folgen schnell und erbarmungslos: Inflation, Währungskursverluste, Zahlungsbilanzkrisen – und dann Arbeitslosigkeit und oft politische Unruhen. Daraus können wir lernen. Wir brauchen mehr unabhängige Institutionen für wesentliche Aufgaben, die zwar durch einen politischen Prozess besetzt werden, aber indirekt, und die in der Folge große Autonomie besitzen – nicht denen verpflichtet sind, die sie auf ihren Posten gehievt haben, sondern der Sache.
Mit einem solchen Ansatz hätten wir nicht einen öffentlichen Rundfunk, bei dem ein Unbekannter aus dem mittleren Management Generaldirektor wird. Staatliche Beteiligungen würden von unzweifelhaften Fachleuten verwaltet. Und wir hätten ein Pandemie-Management, das nicht darauf achten muss, was die letzte Umfrage sagt, sondern sich auf die Gratwanderung zwischen öffentlicher und psychischer Gesundheit, wirtschaftlicher Vernunft und anderen wichtigen Interessen konzentrieren kann. Das hätte uns in den vergangenen beiden Jahren einiges erspart.
Wir müssen mehr Expertise wagen.
Veit Dengler ist Medienmanager und Parteigründer (Neos).