Visionsloses Weltunkulturerbe
Als Folge des Ukraine-Krieges gehen die Gasvorräte zur Neige und Getreide wird knapp. Abgesehen davon führt uns aber auch die Corona-Pandemie deutlich vor Augen, was lange Zeit erfolgreich verdrängt worden ist: Dass wir in vielen Bereichen zur Bewältigung heutiger Herausforderungen ganz selbstverständlich auf die in der Vergangenheit angelegten Reserven zurückgreifen, wie beispielsweise im Fall unseres (ehemals?) international angesehenen Schulsystems. Schließlich entsprechen heute vielfach weder die Bedingungen noch die Ergebnisse jenen hohen Standards, auf die man einst stolz gewesen ist. Errungenschaften haben sich abgenutzt und werden nur notdürftig repariert, sodass wir von Dauerprovisorien umgeben sind. Einzig im Verwaltungsapparat scheint das Parkinson’sche Gesetz stetigen Wachstums zu funktionieren. Während das Verteidigungsministerium die historische Chance für eine Erhöhung seiner budgetären Mittel für die operative Truppe ergreift, schafft es die mangelhafte Ausstattung unserer Kindergärten und Schulen in den Schlagzeilen kaum, sich durchzusetzen.
Man hat sich daran gewöhnt, dass Reformen an der Basis stets „kostenneutral“ zu erfolgen haben, wenngleich das im Angesicht von Inflation und zunehmenden Aufgaben die Kürzung von Ressourcen bedeutet. „Bei allen Dingen stets etwas in Reserve haben“ – das empfiehlt Baltasar Gracián y Morales in seinem „Handorakel“, denn: „Dadurch sichert man seine Bedeutsamkeit.“ Die Politik verfolgt offenbar die gegenteilige Strategie: Indem sie Reserven vergangener Generationen aufzehrt, steuert sie das Land in Richtung schwindender Bedeutung. Sich in Sonntagsreden der Relevanz öffentlicher Versorgung zu versichern, wird nicht ausreichen, um ihre Zukunft zu sichern. Zwar gilt es in Rechnung zu stellen, dass viele Menschen die kurzfristig unangenehmen Folgen langfristig erforderlicher Reformen nicht mehr in ausreichendem Maß mittragen möchten.
Oder dass globalisierte Märkte, die Pandemie und nun noch ein Krieg in Europa der Politik die Arbeit zusätzlich erschweren. Allein deshalb wäre es unfair, die aktuelle Situation mit den Wirtschaftswunder-Jahren oder die aktuelle Spitzenpolitik mit jener der gerühmten Kreisky-Ära unmittelbar zu vergleichen. Umgekehrt nehmen „gelernte Österreicher“ jenes folkloristische Weltunkulturerbe, für das eine „föderalistische Freunderlwirtschaft“ Pars pro Toto steht, achselzuckend hin. Und das trägt maßgeblich dazu bei, das Vertrauen in den Veränderungswillen staatlicher Institutionen zu untergraben, obwohl es höchste Zeit wäre, wieder in fundamentale soziale und kulturelle Infrastruktur zu investieren, um zumindest Defizite der letzten Jahr(zehnt)e wettzumachen. Visionen dafür fehlen in unserem vorwiegend mit sich selbst beschäftigten System leider.
Paul Reinbacher arbeitet nach einem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie diversen beruflichen Positionen in der Privatwirtschaft an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Linz.