Rechte Krawalle in Großbritannien als Warnsignal
Die jüngsten Ausschreitungen in Großbritannien im Zuge landesweiter Proteste gegen Massenzuwanderung werden von Politik und Medien zu Recht verurteilt. Allerdings werden sie nur unzureichend kontextualisiert. Es überrascht kaum, dass laut einer aktuellen Umfrage eine überparteiliche Mehrheit die britische Migrationspolitik der letzten Jahre als Ursache für die Krawalle sieht. Damit zusammenhängende Probleme zu verschweigen oder zu verharmlosen und Kritiker anzuprangern, ging nach hinten los. Doch scheint man an dieser Taktik festzuhalten. Als 2011 die „London Riots“ ausbrachen, lebte ich in der Metropole an der Themse. Damals wurde die Zerstörungswut Tausender vor allem mit wirtschaftlichen Sorgen, gesellschaftlicher Marginalisierung und Rassismus erklärt. Es wurde der Eindruck erweckt, die verheerenden Ausschreitungen seien politisch gerechtfertigt. Im Gegensatz dazu werden die jüngsten Krawalle dazu benutzt, die zugrunde liegenden Sorgen rund um Zuwanderung und Islamismus zu delegitimieren.
Die vorwiegend muslimischen Gewaltexzesse in Leeds wenige Wochen zuvor werden genauso unter den Teppich gekehrt wie die islamistischen Schlägertrupps, die beispielsweise in Birmingham Jagd auf vermeintliche Rechte gemacht haben. Dass derart mit zweierlei Maß gemessen wird, stößt auf Unverständnis in der Bevölkerung und hilft rechten Demagogen.
Unmittelbarer Auslöser für die Proteste Anfang August war ein brutales Messerattentat auf eine Kindergruppe in Southport am 29. Juli, bei dem drei Mädchen starben. Medienberichte wurden nicht müde, die britische Staatsbürgerschaft des 17-jährigen Täters zu betonen. Als Sohn ruandischer Einwanderer sei er selbst kein Migrant. Eine solche differenzierte Berichterstattung vermisste man allerdings bei den Reaktionen auf seine barbarische Tat. Als beispielsweise am 4. August gewalttätige Proteste in Rotherham ausbrachen, bei denen eine Migrantenunterkunft in Brand gesteckt wurde, kam praktisch nie zur Sprache, dass es sich dabei um dieselbe Stadt handelt, in der zwischen 1997 und 2013 grob 1.400 minderjährige Mädchen von hauptsächlich britisch-pakistanischen Banden systematisch missbraucht und sexuell versklavt wurden. Die zuständigen Behörden schliefen, auch weil Untersuchungen „im Hinblick auf die soziale Diversität vor Ort heikel“ seien, wie es in einem Bericht hieß.
Solche Informationen rechtfertigen die schändliche Gewalt bei den Protesten der letzten Wochen selbstverständlich in keinster Weise, liefern aber einen wesentlichen Kontext für die Wut dahinter. Wird diese nicht ernstgenommen, profitieren Akteure am rechten Rand. Dass es auch hierzulande schwerwiegende Probleme gibt, zeigte nicht zuletzt der vereitelte islamistische Terroranschlag auf die Wien-Konzerte von Taylor Swift.
Gerfried Ambrosch ist promovierter Anglist und Amerikanist mit Schwerpunkt Literatur- und Kulturwissenschaften