Österreichs Sozialsysteme: Kein Bemühen um sinnvolle Abstimmung
Die Bekämpfung der Kinderarmut ist zum politischen Thema geworden. Mit keinem Thema lässt sich anschaulicher darstellen, wie die ideologischen Bruchlinien zwischen Parteien und sonstigen Vertretern weltanschaulicher Zirkel die Diskussion beherrschen. Im System einer durch die Länder vollzogenen Sozialhilfe, einer Arbeitslosenversicherung, für die der Bund zuständig ist, aber mit der Notstandshilfe auch Maßnahmen, die eigentlich der Sozialhilfe zuzuordnen sind, und der Familienbesteuerung, gibt es kein Bemühen um eine vernünftige Abstimmung.
Im System der Sozialhilfe sind Haushalte anspruchsberechtigt. Bei der Arbeitslosenversicherung die jeweilige Person, die einen Versicherungsanspruch erworben hat. In der Notstandshilfe ebenfalls die Person, unabhängig davon, wie vermögend der Haushalt ist, in dem diese lebt. Im Steuerrecht werden die Familientransfers völlig unabhängig davon ausbezahlt, ob die Anspruchsberechtigten in einem Erwerbshaushalt oder in einer Bedarfsgemeinschaft mit Anspruch auf Sozialhilfe leben. Der Familienbonus Plus für Kinder, die in einem Haushalt leben, wirkt nur in Erwerbshaushalten. In so einem System kommt es zu eigenartigen, aber ideologisch zuordenbaren Phänomenen.
Familien in der Sozialhilfe bekommen in Wien derzeit 2x 790,23 Euro pro Monat als Paar. Für jedes Kind besteht ein Anspruch von 284,48 Euro. Zusätzlich steht für jedes Kind ( Haushalt mit drei Kindern über zehn Jahre) 168,10 Euro an Familienbeihilfe und 61,80 Euro Kinderabsetzbetrag zu. Zusätzlich besteht ein Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag in Höhe von 936 Euro pro Jahr und Sonderzuschuss von 60 Euro pro Kind und Monat bis Ende 2024. Familien bekommen also 600,38 Euro im Monat für jedes Kind. Ein Transfer, über dessen Verwendung der Staat keinen weiteren Einfluss hat. Eine Familie mit drei Kindern kommt somit auf 40.579 Euro Haushaltseinkommen, unvergleichlich in Europa. Ist das nicht genug Armutsbekämpfung?
In diesem System kann man sich Einkommen erkopulieren. Das Schräge ist, dass in den Erwerbshaushalten dem Staat ein Kind mit 2.000 Euro Familienbonus Plus um 1.413,76 Euro weniger im Jahr wert ist als in der Sozialhilfe in Wien. Könnten möglicherweise „Reiche“ davon profitieren. Noch schlimmer wird es im Verhältnis zum Arbeitslosenversicherungsanspruch. Selbst Personen, die immer über der Höchstbeitragsgrundlage verdient haben, fallen bei gleichem Familienstand als Alleinverdiener unter die Anspruchsgrenzen der Sozialhilfe (75,89 täglich, das sind 27.700 Euro im Vergleich zu 29.206 in der Sozialhilfe).
So ein Sauhaufen entsteht trotz der Unzahl an „ExpertInnen“ egal, ob progressiver oder konservativer Anschauung, aus öffentlichen Mitteln bezahlt. Also, tapfere Armutsbekämpfer: Lernt. die Dinge zu verstehen, bevor ihr Euch an neue Forderungen macht.
Gottfried Schellmann ist Wirtschaftsexperte und Steuerberater