Meinung/Gastkommentar

Nach der Wahl: Politik im Gefangenendilemma

Die  Nationalratswahlen in Österreich sind geschlagen. Nun stehen die Parteien vor einer nahezu spieltheoretischen Herkulesaufgabe. Die Freiheitlichen sind die klaren Gewinner des Wahlabends, während die Volkspartei unter Karl Nehammer starke Verluste einstecken musste und die Sozialdemokraten von dem intendierten Kanzleranspruch Lichtjahre entfernt sind.

Herbert Kickl hat das Potenzial der FPÖ und die frustrierten Wähler voll ausgeschöpft. Die noch fehlenden Strukturen der Blauen und das Vorhandensein ebenjener bei den Schwarzen haben diese vor einem Totalabsturz bewahrt. Wie geht es jetzt weiter in der schönen Alpenrepublik? Kommt es zu einem Systemwandel oder werden sich die Bewegungen jenseits der FPÖ zu einer riskanten Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos oder Grünen hinreißen lassen und somit dem Modell der deutschen Nachbarn folgen?

Alle Inhalte anzeigen

Ein Vabanquespiel

Eines ist klar: Die ÖVP steht vor einem politischen Vabanquespiel und einem sinnbildlichen „Gefangenendilemma“. Denn lässt sie sich auf einen flotten Dreier mit der SPÖ und einer Kleinpartei ein, dann droht die Gefahr, dass die Wähler alle drei Partner, analog zur Situation in Deutschland, bei den nächsten Urnengängen klar abstrafen und die Freiheitliche Partei unter Kickl zum politischen Superschwergewicht mutiert.

Strebt sie aber eine Koalition mit dem dritten Lager unter Herbert Kickl an, dann werden es dieses und sein Parteichef diesmal sicher nicht so billig geben wie einst Jörg Haider, der als Zweiter bei den Nationalratswahlen 1999 den Dritten, sprich Wolfgang Schüssel, zum Ersten machte.

Der erste Platz ist symbolisch und praktisch immerhin der erste Platz. Die ÖVP muss sich aus ihrer Sicht im übertragenen Sinn zwischen Pest und Cholera entscheiden. Macht sie es jedoch schlau und lässt sich nicht alleine durch soziale Erwünschtheit leiten, dann kann sie den neu erwachten politischen Riesen FPÖ in einer Koalition mit ihren klügsten Köpfen und Personal (ein-)binden. Denn aus der Opposition zu fordern und in einer Regierung den Staat zu formen, sind zwei Paar Schuhe. Die berühmte Fakten- und Datenlage ist historisch betrachtet klar auf ihrer Seite. Der imagetechnische Turnaround und die Inkorporation eines beträchtlichen Teils der Stimmen der Freiheitlichen ist der ÖVP – unter Wolfgang Schüssel und unter Sebastian Kurz – schon zwei Mal geglückt.

In der nächsten Zeit ist die Schwarmintelligenz des Personals der Parlamentsparteien am Wort. Vielleicht sollte sich dieses der Methode der Spieltheorie bedienen, um sich strategisch in den anderen hineinzuversetzen und zu verstehen, dass der Erfolg nicht alleine vom eigenen Handeln abhängig ist, sondern zentral von der Kooperationsbereitschaft der anderen Partei(en) abhängt.

Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna