Meinung/Gastkommentar

Mut zur Forschung führt nicht nur zu Nobelpreisen

Katalin Karikó hat den Nobelpreis in Physiologie und Medizin 2023 bekommen. Sie blickt auf ein Leben zurück, welches auch von einem Drehbuchautor hätte verfasst werden können.

Geboren als Tochter eines Fleischhauers in einer ungarischen Kleinstadt. Studium der Mikrobiologie, erste Anstellung an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Auswanderung in die USA mit einer sprichwörtlichen Handvoll Dollar, eingenäht in den Teddybären ihrer Tochter. Anstellung als Assistant Professor an der University of Pennsylvania, mangelnde Anerkennung, ihre Stelle wird zurückgestuft und befristet, die Universität verkauft das von ihr und ihrem Kollegen, Drew Weissman, erlangte Patent.

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All diesen Rückschlägen zum Trotz blieb Karikó einer Forschungsfrage treu, die in den 1980er und 90er-Jahren aufkam, als es erstmals gelang, mRNA im Labor herzustellen: Kann man statt wie bisher mithilfe von DNA, quasi eine Abkürzung nehmen und gleich mRNA in eine Zelle einschleusen, um Proteine zu produzieren? Und kann man diese Methode beispielsweise für Impfungen verwenden, indem man statt des aufwendig produzierten Impfstoffes einfach den Bauplan in Form der mRNA verabreicht?

So simpel die Idee, so schwierig die Umsetzung. Das wesentliche Problem: Die in Zellen eingeschleuste mRNA führte zu einer starken Entzündungsreaktion, die gleichzeitig die mRNA abbaut und somit die Proteinproduktion verhindert. Gemeinsam mit dem Immunologen Drew Weissman gelang es Katalin Karikó aber, durch kleine molekulare Veränderungen der mRNA sowohl die unerwünschte Entzündung zu umgehen, als auch die Stabilität der mRNA und somit der Proteinproduktion zu erhöhen. Dieser Meilenstein, der im Jahr 2005 publiziert wurde, erwies sich als Basis der heute weitverbreiteten Anwendung in Impfstoffen.

Die publizierten Resultate wurden im Jahr 2020 von den Pharmafirmen Moderna und später von Biontech aufgegriffen, die die ersten mRNA-basierten Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Virus produzierten.

2022 kehrte Karikó wieder nach Ungarn zurück und wurde Professorin an der Universität Szeged. Aus der Studentin ist eine Professorin geworden und dazwischen lag ein langes Forscherinnenleben, gewidmet der Grundlagenforschung, die eine Anwendung ermöglichte, mit deren Hilfe eine weltweite Pandemie besiegt werden konnte.

Was uns dieses bewegte und bewegende Leben zeigt: Grundlagenforschung ist der Nährboden, auf dem spätere, wertvolle Anwendungen wachsen, die viele nicht für möglich gehalten hätten – in Karikós Fall nicht einmal ihre eigene Universität.

Dafür braucht es oft einen langen Atem, aber auch den Mut, sich für etwas einzusetzen, was nicht gleich verstanden wird. Es sind manchmal die „Spinnereien“ von kreativen Köpfen, wie einer Katalin Karikó, einem Anton Zeilinger (Quantenmechanik) oder einer Emmanuelle Charpentier (Gen-Schere), die zu disruptiv neuen Erkenntnissen und auch Anwendungen führen. Das führt manchmal nicht nur zu Nobelpreisen, sondern hilft am Ende uns allen.

Heinz Faßmann ist Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Sylvia Knapp ist Professorin an der MedUni Wien und ÖAW-Mitglied