Meinung/Gastkommentar

Mangel? Machen wir was draus

Als Lösung für den „Fachkräftemangel“ sieht Arbeitsminister Martin Kocher die Beschämung von teilzeitarbeitenden Frauen. Damit verkennt er die Empfehlung der OECD, die aufzeigt, dass es einen Ausbau der Kinderbetreuung sowie die gerechte Aufteilung der unbezahlten Care-Arbeit braucht. Der Affront ist ein Beispiel dafür, wie bei der Suche nach Fachkräften an den falschen Schrauben gedreht wird. Durch die einseitige Debatte wird die Chance verpasst, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, etwa durch gute Wiedereinstiegsprogramme für Langzeitarbeitslose, gesundheits- und altersgerechte Arbeitsplätze oder eine gute Work-Life-Balance.

Anstelle von Mutmaßungen darüber, wie Arbeitslose mehr unter Druck gesetzt werden können, sollten Unternehmen zur Selbstreflexion angeregt werden - etwa wenn es um die Entlohnung geht. Erst kürzlich hat eine Umfrage einer Jobplattform aufgezeigt, dass rund die Hälfte der Unternehmen keine höheren Löhne auszahlen will. Gleichzeitig sind immer weniger Betriebe bereit, Lehrlinge auszubilden. Gab es 2010 über 37.500 Lehrbetriebe, so sind es im Jahr 2020 lediglich 28.711. Aber wer gut ausgebildete Fachkräfte will, muss auch in deren Ausbildung investieren.

Wer mehr Frauen in den MINT-Bereichen will, muss bedenken, dass auch die Unternehmenskultur eine entscheidende Rolle spielt. Insbesondere für junge Frauen ist ein Einstieg in ein MINT-Unternehmen womöglich wenig attraktiv, wenn keine weiblichen Vorbilder vorhanden sind oder Mitarbeiterinnen aufgrund ihres Geschlechts schlechter entlohnt werden.

Das darf aber nicht heißen, dass klassisch weibliche, und meist eher schlecht bezahlte Berufe mit Fachkräftebedarf keine Aufmerksamkeit brauchen. Denn gerade Pflegerinnen oder Kindergartenpädagoginnen leisten wertvolle Arbeit und verdienen deshalb bessere Entlohnung und kürzere Arbeitszeiten. Ebenso müssen Recruiting-Prozesse reflektiert werden, z. B. wenn es darum geht, wer überhaupt für eine Position infrage kommt. Warum nicht jemanden einstellen, der älter ist, aber noch zehn Jahre bis zur Pension hat? Ebenso können interne Nachbesetzungen weiterhelfen und gleichzeitig motivierend wirken. Unternehmen müssen hinterfragen, wieso ihre Bewerbungsprozesse nicht erfolgreich sind oder Beschäftigte im Unternehmen unzufrieden sind.

Das Um und Auf, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, sind die ArbeitnehmerInnen. Ein hohes Arbeitskräftepotenzial ist in Österreich zweifellos vorhanden. ArbeitnehmerInnenvertretungen weisen regelmäßig darauf hin und schlagen Wege vor, wie dieses genutzt werden kann, ohne den ArbeitnehmerInnen zu schaden. Jetzt, wo die Dringlichkeit auch von Unternehmen unterstrichen wird, wäre der ideale Zeitpunkt, gemeinsam anzupacken und die richtigen Maßnahmen zu setzen.

Miriam Baghdady ist Volkswirtin beim ÖGB.