Inflation, Zinsen und die EZB
Das Eis scheint gebrochen. Die EZB spricht offen über ein Ende der Negativzinsen, eine Anhebung um 0,50 Prozent bis Ende des Sommers ist wahrscheinlich. Erste Stimmen von „zu wenig, zu spät“ häufen sich. Nicht zuletzt auch durch den starken Wertverlust des Euros gegenüber dem US-Dollar. Gleichzeitig sendet die EZB aber auch bremsende Signale. Diese Kommentare können angesichts der aktuellen Teuerungsraten irritierend wirken. Die Erzeugerpreise in der Industrie sind seit Ende 2019 in der Eurozone um knapp +40 Prozent angestiegen, bei Energiepreisen sind es über +100 Prozent. Die zentrale Steuerungsgröße der EZB, die europäische Verbraucherpreisinflationsrate, war im April mit +7,4% im Jahresvergleich mehr als deutlich über der Zielgröße von +2,0 Prozent.
Warum das verhaltene Zögern? An dieser Stelle ist hervorzuheben: Es ist zurzeit nicht die Geldpolitik der EZB und das tiefe Zinsniveau, das die aktuelle Teuerungswelle verursacht. Der „Schock“ kommt von der Angebotsseite: Die Probleme in Verfügbarkeiten und den scharfen Preisanstiegen der Vorleistungen und Rohstoffe und die Energiekosten sind Themen, die durch den Ukraine-Konflikt verschärft, aber nicht verursacht wurden.
Die Probleme resultieren aus der Realwirtschaft, und sind nur sehr bedingt auf die EZB zurückzuführen. Eines ist sicher: Die Inflationsraten werden nach einem weiteren möglichen Anstieg in den nächsten Monaten sinken: alleine deshalb, weil die Inflation selbst die Änderung im Preisniveau während eines Jahres wiedergibt.
Inflationsraten können also niedrig sein, obwohl die Preise an sich noch problematisch sind. Klar ist auch, dass die aktuellen das Wachstum und damit auch den Preisdruck dämpfen werden. Viele Staaten versuchen in diesem Umfeld über Staatsausgaben und Steuersenkungen den Krisenauswirkungen zu begegnen, mit dem Effekt ausufernder Staatsschuldenquoten. So beträgt die durchschnittliche Verschuldung in der Eurozone schon jetzt mehr als 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Italien sind es beispielsweise sogar über 150 Prozent. Die EZB kann damit einerseits nur sehr begrenzt zur Bewältigung der Inflationsprobleme beitragen, riskiert aber andererseits mit strikter Geldpolitik und steigenden Zinsen eine Verschärfung von konjunkturellen und Schuldenproblemen.
Die langfristigen 10-jährigen Zinsen, relevant vor allem für langfristige Finanzierungen und Immobilienkredite, werden ebenfalls mit knapp über 1 Prozent erwartet. Anstieg – ja. Aber in Maßen. Das wird der Mittelweg sein, mit dem die EZB versuchen wird, durch diese turbulenten volkswirtschaftlichen Zeiten zu steuern. Insbesondere auch für Unternehmen gilt es, diese Erwartungen in der Planung mit zu berücksichtigen. Die Befürchtung stark ansteigenden Zinsniveaus scheint jedoch aus aktueller Sicht nicht angebracht.
Stefan Fink ist Chefökonom bei KPMG Austria.