Impfpflicht – Ja, Nein, kommt drauf an
Steigende Infektionszahlen bei stockenden Impfraten heizen die Debatte um eine mögliche „Impfpflicht“ weiter an. Die Ausgangslage ist bedenklich: Die vierte Welle ist ante portas, obwohl es eigentlich genug Impfstoff gibt.
Die Impfwilligen sind mittlerweile (zumindest beinahe) versorgt, der Rest scheint weniger motiviert: Laut aktuellen Erhebungen des „Austria Corona Panel Project“ der Universität Wien wollen sich 15% der Bevölkerung partout nicht „ehestmöglich impfen lassen“, weitere 5% „eher nicht“.
Das klingt, je nach Lesart, nach viel oder nach wenig. Zwar ist die Zahl der „Impfverweigerer“ in den letzten Monaten stetig gesunken. Von der mitunter unerreichbaren “Herdenimmunität“ ist Österreich dennoch weit entfernt.
Wenn Anreize wie die omnipräsente Verfügbarkeit von Impfungen – in Wien tuckert sogar ein eigenes „Impfboot“ auf der Alten Donau – nicht ausreichen, könnte die Gesetzeskeule folgen.
Politik vs. Recht
Politisch wäre das freilich äußerst heikel: Dem Austria Corona Panel Project zufolge steht die Mehrheit der Bevölkerung (52%) einer allgemeinen Impfpflicht ablehnend gegenüber.
Es ist kaum vorstellbar, dass die Regierung eine derart unbeliebte Maßnahme setzen würde – zumal die FPÖ jede Gelegenheit nützt, um den Impfteufel an die Wand zu malen.
Davon abgesehen kann das Wort „Impfpflicht“ stark unterschiedliche Assoziationen hervorrufen. Die einen denken mitunter an körperlichen Zwang, andere an Geldstrafen (damit hat Österreich übrigens Erfahrungen, 1948 wurde eine Strafe von bis zu 1000 Schilling für Missachtung der Pocken-Impfpflicht festgesetzt, laut historischem Währungsrechner der Nationalbank wären das heute 1.178,42 €).
Daher kann man nicht pauschal sagen, ob eine Impfpflicht rechtlich zulässig wäre. Das polizeiliche Festhalten von Menschen zwecks Injektionsverabreichung würde offensichtlich zu weit gehen, aber derartiges steht nicht im politischen Raum (ja nicht einmal im Vorraum, im Stiegenhaus oder sonstwo).
Sanfte Pflicht
Es geht schließlich nicht darum, jeden einzelnen und noch so renitenten Verweigerer zu seinem Impfglück zu zwingen.
Weniger eingriffsintensive Maßnahmen können daher durchaus erlaubt sein: der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem wegweisenden Urteil vom April 2021 festgehalten, dass der Ausschluss des Zugangs zu Kindergärten und Vorschulen für ungeimpfte Kinder oder moderate Geldstrafen nicht gegen das Menschenrecht auf Privat- und Familienleben verstoßen.
Impfskepsis sei darüber hinaus nicht von der Gedankens- und Gewissensfreiheit erfasst. Außerdem betonte das Gericht – wohl mit Blick auf die Corona-Debatte – dass es sich um „Routine-Impfungen“ gegen medizinisch „wohlbekannte“ Krankheiten handelte (wie Masern, Mumps, Masern, Tetanus oder Hepatitis B).
Soweit sich diese Ratio auf die Corona-Impfungen übertragen lässt, steht einer „sanften“ Impfpflicht dennoch nichts Grundsätzliches im Weg.
Ralph Janik ist Lehrbeauftragter für Völkerrecht und Menschenrechte, unter anderem an der Universität Wien.