Meinung/Gastkommentar

Im Schatten der Zinsen

Immer wieder fragen sich die Bürger, bei wem die Staaten eigentlich verschuldet sind. Was viele nicht wissen: Der größte Gläubiger der Länder der Eurozone sind die Bürger selbst – über den Umweg der Europäischen Zentralbank (EZB). Als diese den Leitzins vor rund sieben Jahren nicht weiter senken konnte, weil er schon bei null war, begann das große Ankaufen von Staatsanleihen.

Rund 26 Prozent der österreichischen Anleihen schlummerten 2021 in den Frankfurter Büchern. Auch jeder vierte Euro der hohen italienischen Staatsschulden ist im Besitz der Zentralbank. Der Anteil der spanischen lag bei knapp 28 Prozent, jener der Slowakei sogar bei 34 Prozent. Schon im Jahr 2015 war der Ankauf von Staatsanleihen umstritten, weil die EZB ihre Mitgliedstaaten eigentlich nicht finanzieren darf.

Doch damals grassierte die Angst, dass die Eurozone in eine Deflation abrutschen könnte. Folglich blieben der EZB wenig Alternativen, und so tat sie es anderen Notenbanken gleich. Mittlerweile haben sich die Vorzeichen aber geändert. Für eine Deflationsgefahr spricht schon lange nichts mehr. Nach langem Zögern wurde erstmals nach elf Jahren auch der Leitzins in der Eurozone wieder angehoben. Angesichts der wohl länger hoch bleibenden Inflation werden die Zinsen weiter steigen. Die Notwendigkeit, über den Ankauf von Staatsschulden zusätzliches Geld in die Märkte zu pumpen, gibt es also nicht mehr.

Die EZB findet also eine perfekte Gelegenheit vor, einen Weg aus der geldpolitischen Sackgasse zu finden. Das Problem liegt nämlich darin, dass die Bürger der Eurozone heute von den Launen der Politiker hoch verschuldeter Staaten abhängig sind. Allen voran Italien. Das Land war im Jahr 2021 mit 150 Prozent des BIP verschuldet – bei Zahlungsschwierigkeiten hat die gesamte Währungsunion ein gröberes Problem. Kauft die EZB also weiter Anleihen auf, dann hat sie offensichtlich nicht mehr das Versprechen der Geldwertstabilität im Sinn. Sondern die Nöte hoch verschuldeter Staaten, die steigende Zinsen kaum noch verkraften können.

Doch ist es wirklich Aufgabe der Zentralbank, über den richtigen Preis von Staatsanleihen zu befinden? Und wenn ja, warum gilt das Gleiche nicht auch für Unternehmensanleihen, Aktien oder Immobilien, deren Preise ja vielleicht auch nicht „korrekt“ sind? Durch ihre Politik verdrängt die EZB private Investoren – auf Kosten der europäischen Bevölkerung. Sie betreibt Umverteilung innerhalb der Mitgliedstaaten ohne demokratisches Mandat und sie muss sich den Vorwurf der eigentlich verbotenen Finanzierung der Euroländer gefallen lassen. Wollen wir einen stabilen Euro, dann muss die EZB ihre unkonventionelle Geldpolitik endlich beenden. Das wird die Regierungen in vielen Ländern zwingen, strukturelle Reformen anzugehen. Billiges Geld der Zentralbank kann und darf das nicht länger verhindern.

Hanno Lorenz ist stv. Direktor der Agenda Austria