Meinung/Gastkommentar

Digitaler Humanismus

Am Montag fand im Nationalrat ein Parlamentarisches Forum zum Thema „Auswirkungen von KI auf Gesellschaft und Demokratie“ statt. Die Veranstaltung soll als Auftakt für eine intensive Beschäftigung mit Fragen der KI im kommenden Jahr dienen. Besonders erfreulich: das Thema werde ganz oben auf der Liste der Themen stehen, mit denen sich der österreichische Gesetzgeber auseinandersetzen muss.

Österreich steigt damit relativ spät in die Debatte ein. Vor fünf Jahren hat die deutsche Bundesregierung die Datenethikkommission (DEK) einberufen, mit Co-Vorsitz aus Österreich, ebenso wie einen Digitalrat, ebenfalls mit starker österreichischer Besetzung. Die DEK hat wichtige Weichen gestellt für vieles, was mittlerweile an EU-Gesetzgebung geschaffen wurde oder kurz vor der Verabschiedung steht – zu Daten-Governance, digitalen Märkten, digitalen Diensten, politischer Online-Werbung oder zur Datenwirtschaft. Und natürlich zu KI allgemein – wobei sich das KI-Gesetz mit seinem „risikobasierten Ansatz“ (heißt: hohes Risiko, strenge Regulierung – geringes Risiko, wenig oder keine Regulierung) sehr am Gutachten der DEK orientiert.

Die ganz großen Fragen – wie KI-Sicherheit oder eine Plattformregulierung im Hinblick auf Meinungsfreiheit und Demokratie – sind damit zunächst einmal durch das EU-Recht beantwortet, und zwar weitgehend abschließend. Der österreichische Gesetzgeber kann vielfach nur noch die zuständigen Stellen benennen und kleinere Gestaltungsspielräume nutzen. Apropos zuständige Stellen: Da man sich nicht einigen konnte, welches Bundesministerium zuständig sein soll, hat Österreich das Daten-Gesetz im Rat nicht mitverhandelt und noch keine Stellen für die Umsetzung des ab 24.9. geltenden Data Governance-Gesetzes benannt – mit möglicherweise gravierenden Folgen für Österreichs Position in Fragen der Datenwirtschaft.

Heißt das, Österreich ist ohnehin zu spät dran und sollte sich um zentrale Fragen rund um KI besser gar nicht mehr kümmern? Weit gefehlt! Aber Österreich könnte wenigstens jetzt, nachdem seine Expert:innen lange Berlin und Brüssel beraten haben, die Expertise im Land bündeln und auf die Wissenschaftler:innen hören. Die Zuständigkeiten könnten rechtzeitig und nach sachlichen Gesichtspunkten festgelegt werden. Und der österreichische Gesetzgeber könnte jetzt die Themenführerschaft für jene Fragen übernehmen, die Brüssel noch nicht oder jedenfalls nicht abschließend behandelt hat. Beispielsweise im Bereich der Zurechnung von und Haftung für KI (wo die EU nur einen sehr schmalen und enttäuschenden Entwurf vorgelegt hat), oder im Bereich des Verbraucherschutzes.

Das Drehen an ganz wenigen Stellschrauben könnte hier Großes bewirken – beispielsweise dafür sorgen, dass man seiner Haftung nicht dadurch entgehen kann, dass man anstelle eines Menschen eine KI einsetzt. Klingt weniger spektakulär als die Zukunft der Demokratie, wäre aber für die betroffenen Menschen enorm wichtig, ganz im Sinne des „digitalen Humanismus“.

Christiane Wendehorst ist Professorin für Zivilrecht an der Universität Wien, war Co-Vorsitzende der deutschen Datenethikkommission