Meinung/Gastkommentar

Die rechte Versuchung

Der Zulauf zu den rechten Parteien nimmt in ganz Europa stetig zu. Noch sprechen wir von einer „Versuchung“, aber es könnte bald eine Massenbewegung werden. Kritische Philosophen im Sinne Karl Poppers stellen sich die Aufgabe, hier sehr klar zu analysieren. Das geschieht heute viel zu wenig.

Mit „links“ bezeichnen wir seit der ersten Französischen Nationalversammlung 1789 die Kräfte der Veränderung und der Erneuerung, mit „rechts“ die Kräfte der Bewahrung und der Verortung.

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Fazit heute: Nicht alles, was von rechts gefordert wird, ist falsch und bedroht die Gesellschaft. Viele dieser Forderungen sind durchaus vernünftig und sollten von der Mehrheit der Politik gehört werden. Aber viele der radikalen Forderungen der „Neuen Rechten“ sind für die Gesellschaft gefährlich. Hier muss man das kritische und selbstkritische Denken über neue soziale Gefahren sehr klar benennen und aufzeigen. Viele der Ideen und Werte der Neuen Rechten kommen aus dem 19. Jh., sie waren gegen die linken Revolutionen gerichtet. Dazu kamen die Ideen der Rassenlehre, der Eugenik und des Neo-Darwinismus, des Nationalismus, des Imperialismus, des Militarismus, des Antijudaismus. Diese Ideen haben in ihrer exzessiven Übertreibung in beide Weltkriege und in den Holocaust geführt.

Nach 1945 wurden diese Ideen in den Untergrund gedrängt, aber seit 30 Jahren sind sie wieder sehr lebendig. In Sachsen etwa entwickelte die politische Akademie von Götz Kubitschek diese Ideen weiter und aktualisierte sie für heute. Aber diese Ideen und politischen Ziele werden auch in Frankreich, Holland, England, Spanien und Italien weiterentwickelt. Die Neue Rechte in Europa bildet keine Einheit, doch sie verfolgt ähnliche Ziele.

Die neuen Medien bedrohen heute die liberalen Demokratien, denn jeder kann zu jeder Zeit beliebige Lügen und Behauptungen ins Netz stellen. Es können ständig Hass, Zorn und Aggressivität gestreut werden. Diese Möglichkeit hatten die Diktaturen in den 1920er-Jahren nicht.

Die meisten Demokratien sind im wirtschaftlichen Wohlstand schläfrig und wehrlos geworden. Heute ringen einige Eliten wieder um eine „wehrhafte Demokratie“. Denn diese wendet sich klar und präzise gegen sozial gefährliche Forderungen der radikalen Rechten. Jene wünschen sich einen Krieg gegen Zuwanderer, gegen Muslime und Afrikaner. In der AfD gibt es Forderungen, dass bis zu 30 % der Bevölkerung als kulturfremde Personen mit Gewalt außer Landes gebracht werden. Politiker anderer Parteien werden als „Volksverräter“ beschimpft und es ist wieder von Fahndungslisten und von Straflagern die Rede. Das 100 Jahre nach Hitlers Buch „Mein Kampf“. Wohin sind wir nach 80 Jahren liberaler Demokratien gekommen?

Die Neue Rechte zwingt die Länder Europas, die schläfrigen Demokratien nachzuschärfen. Nur mit Menschenrechten und ganz ohne Menschenpflichten ist kein stabiler Staat mehr möglich. Die deutsche CDU hat seit März 2024 das verpflichtende Sozialjahr in ihr Programm aufgenommen. Die Regeln der Immigration müssen verschärft werden. Auch die Genfer Flüchtlingskonvention von 1952 ist heute nicht mehr ausreichend. Sogar unsere fast heiligen „Menschenrechte“ von 1948 müssten neu verhandelt werden, sie werden von 70 % der Menschheit nicht eingehalten. Die Integrationsarbeit muss dringend verstärkt werden. Ich arbeite seit 30 Jahren in Integrationsgruppen. Asylsuchende müssen sofort für soziale Arbeiten herangezogen werden. Bei den Sprachkursen haben wir viel ungenutztes ehrenamtliches Potenzial. Wir können nicht beliebig viele Flüchtlinge in Europa aufnehmen. Wenn wir das nicht sehen, drohen uns Bürgerkriege.

Die Neue Rechte in Europa ist ein massiver Aufschrei gegen zu viel Liberalität und Beliebigkeit in den westlichen Demokratien. Heute geht es im politischen Diskurs darum, die moderaten Kräfte in den rechten Parteien zu stärken und die radikalen Fanatiker an den Rand zu drängen. Die meisten Anhänger der Rechtsparteien sind keine Faschisten. Aber sie übernehmen kleine Zielwerte daraus und schleusen sie in die Demokratie ein. Im kritischen Diskurs geht es um die Folgenabschätzung aller politischen Ziele. Heute dürften wir noch die reale Chance haben, die liberalen Demokratien nachzuschärfen. Ob wir diese Chance in fünf Jahren noch haben werden, ist keineswegs sicher.

Anton Grabner-Haider ist Universitätsprofessor in Graz und seit 30 Jahren in der interkulturellen Philosophie tätig