Ärztemangel – ein Mythos?
Es war der Begriff der „Ärzteschwemme“, der in den 1990er- Jahren immer wieder strapaziert wurde. PolitikerInnen, aber auch Kammerfunktionäre versuchten auf diese Art und Weise, die dreijährige Wartezeit auf einen Turnusplatz zu erklären. PromoventInnen des Medizinstudiums waren gezwungen, artfremde Tätigkeiten wie Taxifahren oder im Beisl servieren auszuüben. Außer der Herr Papa war selber Politiker oder Klinikvorstand oder man hatte einfach Glück, dann ging es durchaus schneller und man bekam rasch eine Ausbildungsstelle.
Im Jahr 1990 hatte Österreich 7,7 Millionen Einwohner und es waren 23.100 ÄrztInnen in der Ärzteliste eingetragen, heuer beklagen KammerfunktionärInnen und Politikerinnen wiederholt einen „Ärztemangel“ bei knapp 9 Millionen Einwohnern und 48.700 eingetragenen KollegInnen.
Nicht nur für uns, die wir in diesem System tätig sind, auch für den interessierten Beobachter stellt sich die Frage, worin genau der Widerspruch liegt. Ein differenzierter Blick auf das Geschehen könnte die Verantwortlichen durchaus in einen Erklärungsnotstand bringen. Es war in Zeiten der sogenannten Ärzteschwemme üblich, im Spital 80 Stunden am Stück Dienst zu machen (Arbeitsinspektorat?) oder in der Praxis PatientInnen bis weit in den Abend hinein zu versorgen. Vereinfacht könnte man demnach behaupten, dass man de facto für 2 Leute arbeitete.
Passt es jedoch zusammen, dass bei nunmehriger Verdoppelung der Zahl der Ärztinnen und einem gleichzeitigen Bevölkerungswachstum von etwa 15% ein „Ärztemangel“ besteht? Antwort: teilweise. Natürlich gibt es hierorts Regionen mit einem Mangel an Haus- und Fachärzten, wie es gleichzeitig Bezirke in Wien gibt, in denen Kassenstellen nicht besetzt werden können. In manchen Spitälern können Diensträder nicht mehr bespielt werden, was sich vor allem in der Urlaubszeit gravierend auswirkt. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Wahlarztpraxen merklich. Die politisch Verantwortlichen reagieren, aber sie agieren nicht. Blaming der WahlärztInnen ist beliebt, unterfüttert mit einfältigen Pseudo-Vorurteilen („Golfspielende, Mercedes fahrende Millionäre“ als Klassenfeinde). Gutes Arbeitsklima, familienfreundliche Arbeitszeiten, Befreiung von administrativen Aufgaben stellen hierbei unabdingbare Bedingungen dar, jedoch: die Gehälter der im Gesundheitsdienst Tätigen und natürlich der Ärztinnen müssen spürbar erhöht werden. 50 Euro brutto für einen Hausbesuch sind weder motivierend noch ökonomisch akzeptabel. Die Gehälter der Spitalsärztinnen spiegeln weder die langen Ausbildungszeiten, noch den Einsatz an Wochenenden und Feiertagen, noch die hohe Verantwortung wider.
Und irgendwann wird der Mythos zu einer Realität, die kein Politiker schönreden kann.
Peter Poslussny ist Chirurg und Vorstandsmitglied der Ärztekammer Wien.