Meinung

Statuen im Zwielicht: Sturz unserer Helden

Seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA und der dadurch weltweit ausgelösten Protestbewegung Black Lives Matter stürzen Demonstranten rund um den Globus die Statuen unserer „alten Helden“.

Dass diese jetzt im Stadtbild fehlen, wird wohl den wenigsten auffallen – kaum einer der Glorifizierten war ihnen aus der Geschichte bekannt und daher höchstens gewohnte Zierde von Plätzen und Gärten. Richtet sich der Kampf aber plötzlich auf die gefeierten Helden unserer Zeit, dann reagieren doch viele mit Unverständnis und Wut.

Die jüngsten Vorfälle am Parliament Square in London verdeutlichen dieses Dilemma. Dort stehen prominent im politischen Herzen der Stadt Winston Churchill und neben ihm seit kurzem auch Mahatma Gandhi. Beide repräsentieren Ikonen der Befreiung von Gewaltherrschaften; der eine der Befreier Europas von den Verbrechen des Nationalsozialismus, der andere der Befreier Indiens von der Kolonialherrschaft und heute die globale Ikone des gewaltlosen Widerstands.

Dennoch, auch sie wurden in den Demonstrationen der letzten Wochen beschmutzt. „War ein Rassist“ wurde prominent auf den Sockel von Churchills Statue gesprüht. „War ein Sexist“ wäre das Pendant dazu gewesen, das leider – ob wir es wollen oder nicht – Gandhi auch trefflich beschreiben könnte.

Test der Zeit

Dies zeigt, dass nicht alle Einstellungen unserer geliebten Vorbilder den Test unserer Zeit bestehen. Was für sie „normal“ war, ist schlichtweg nicht mehr unser „normal“: Auch Churchill und Gandhi waren eben bloß Helden ihrer Zeit. Daher mag man fragen, ob es denn richtig ist, durch die Augen unserer Zeit andere zu be- und zu verurteilen.

So wie alle vor uns, sind ja auch wir selbst nur Kinder unserer Zeit, die von nachfolgenden Generationen gerichtet werden. Welches sind unsere unverzeihlichen Fehler für die Generation von morgen? Dass wir Fleisch essen? Dass wir den Klimawandel nicht wirklich ernst nehmen?

Ein neuer Zeitgeist ist immer schwer vorauszusagen, bevor er sich über unser Wertesystem und moralisches Bewusstsein scheinbar wie von selbst gelegt hat. Beim Infrage-Stellen unserer Helden von gestern sollte es aber nicht darum gehen, diese schuldig oder frei zusprechen, sondern darum, sie und uns im jeweiligen Zeit-Kontext entsprechend zu positionieren.

Und dieser Versuch zeigt sich nirgends besser als in einem bewussten Umgang mit unserer Vergangenheit. Denkmäler sind Teil unserer Erinnerungskultur. Diese hat die Aufgabe, ihre Bedeutung anzuerkennen, aber in jeder neuen Zeit, aus jedem anderen Blick wieder neu auszulegen.

War gestern noch ihr idealer Standort der öffentliche Stadtplatz, so kann es morgen vielleicht besser ein Museum sein. Versetzt in den historischen Kontext provozieren sie dann weniger und bekommen den Platz zurück, der ihnen gebührt.

Sie werden dann nicht mehr glorifiziert, sondern verstanden als die Helden ihrer Zeit.

Kathrin Bachleitner ist Politologin und forscht zu kollektiver Identität an der Universität Oxford. Sie ist gebürtige Salzburgerin.