Alfredo Barsuglia lädt ins "Cabinet" im MAK
Von Michael Huber
Ein langer Gang, eine Ablage, ein Schlüssel. Wohin geht es hier? Soll man, darf man eintreten? Mit seiner Rauminstallation "Cabinet" hat Alfredo Barsuglia die Besucher im Nu eingefangen. Denn wer nur mit einem Quäntchen Neugier und Abenteuerlust gesegnet ist, wird durch den Gang, durch die Tür dahinter gehen. Und rasch vergessen, dass alles hier ein Kunstwerk, ein Exponat in einer Museumsgalerie ist.
"Cabinet" ist eine kleine Parallelwelt: Der Künstler, 1980 in Graz geboren, hat im Untergeschoß des Wiener MAK eine Wohnung errichtet, die im Wesentlichen aus einem Flur, einem Vorraum und einer Art "Wohnküche" mit Bank und Tisch besteht. Dass die Raumfolge Detektiv-Instinkte weckt, macht einerseits ihren Appeal aus: Man kommt hier scheinbar einer Person auf die Spur, zieht Schlussfolgerungen aus dem Bezug des Sofas, einer Sammlung aufgespießter Käfer, einer Reihe von Bildern.
Doch "Cabinet" ist mehr als eine Musterwohnung: Barsuglia, eigentlich ein studierter Maler, fertigte jedes einzelne Einrichtungs-Stück in Handarbeit an. Nicht nur Türen, Fenster und Tische, auch ein banal wirkender Wandkalender oder ein Aufkleber auf einer Fliese sind bei genauer Betrachtung exakte Nachbildungen des "Wirklichen" und Unikate.
"Es ist eine Aufforderung, aus einem System herauszutreten und es objektiv zu bewerten", sagt Barsuglia, der sich die handwerklichen Fähigkeiten, die zum Anfertigen von Möbeln und Fenstern oder zum Fliesenlegen nötig waren, selbst beibrachte. Hintergrund, sagt er, sei eine Unzufriedenheit mit der hochspezialisierten Gesellschaft von heute: "Man verliert den Überblick über die einfachsten Dinge des Lebens."
Der letzte Wüstenbewohner
Ein Blick aus den Kulissenfenstern des "Cabinet" zeigt, dass Barsuglia sich in seiner Do-It-Yourself-Mission durchaus auf Vorbilder bezieht: In den Fenstern erscheint - als Videoprojektion - ein Blick auf die kalifornische Wüste mit einer jener verfallenen kleinen Hütten, die auch als "Jackrabbit Homesteads" bekannt sind. Es sind Ruinen einer Siedlerbewegung, die ab 1938 einsetzte, als es ein Gesetz US-Amerikanern erlaubte, um wenig Geld ein eigenes Stück Wüstenland zu kaufen und zu bebauen.
Barsuglias "Cabinet" - so eine Lesart - könnte das letzte bewohnte Haus einer solchen Siedlung sein; auch der US-Schriftsteller Henry David Thoreau, der sich einst eine Hütte im Wald baute und darüber den Klassiker "Walden" schrieb, gehört zu Barsuglias Referenzgrößen. Hier wie dort ging es um Zivilisationskritik, um ein bewusstes Abstandnehmen von jenen Dingen, die uns unverzichtbar erscheinen. Im KURIER-Gespräch beginnt Barsuglia an dieser Stelle, sich rasch in eine Tirade über die Luxus-Sucht der Gesellschaft und über Manager, die trotz Verfehlungen hoch bezahlt werden, hineinzureden. "Man kann sehr wohl Verantwortung übernehmen", sagt er. "Ob's nun ein Tisch ist oder die Hypo Alpe Adria, ist egal."
Alternativ und autonom
Marlies Wirth, die als Kuratorin des MAK die Schau betreute, weist darauf hin, dass Themen wie Autonomie, Do-It-Yourself und alternative Lebensführung auch vom MAK stark vorangetrieben werden, etwa in Ausstellungen wie "Nomadic Furniture" (2013) und der anstehenden "Vienna Biennale" (ab Mai). Barsuglias Verbindung zum MAK reicht allerdings länger zurück - er war 2006 "Artist in Residency" in der MAK-Dependance in Los Angeles. In der kalifornischen Wüste baute er 2008 ein scheinbar verschüttetes "Beauty Resort", das den Archäologen der Zukunft Auskunft über den gegenwärtigen Schönheitskult geben sollte; zuletzt entstand der "Social Pool", ein Swimming Pool in der Wüste, zu dem man stundenlang durch die Hitze pilgern musste. "Die Frage war: Wie viel tut sich ein Mensch an, um so ein Luxusgut zu erreichen?", sagt Barsuglia.
In der nun im MAK vorexerzierten Selbstbeschränkung bleibt eine Frage offen: Ist der Rückzug aufs Selbstgemachte eine positive Utopie, oder ist er doch ein asozialer Akt, der keine Gemeinschafts-Bildung mehr zulässt? Um diesen Aspekt anzusprechen und seine Installation auch "sozial" zu machen, lädt Barsuglia jeden Dienstag abend (ab 20 Uhr) fünf Personen zum Abendessen in das "Cabinet" ein. Zuletzt, als der Künstler ein Hotelzimmer in Innsbruck aufstellte und frei benützbar machte, diente es u.a. Obdachlosen als Schlafstelle. Wer nun zum Essen kommt, bleibt abzuwarten.
Info
"Cabinet": Bis 10.5. in der MAK-Galerie, Souterrain des Museums für Angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Stubenring 5, 1010 Wien.